Zwoelf Schritte
zurückliegenden Gewalttat basiert. Der einzige Sinn dieser sogenannten Selbstrechtfertigung besteht darin, dem Alkoholiker grünes Licht zu geben, damit er weiter trinken kann. Der verfluchte Entzug hat mich um die Möglichkeit gebracht, guten Gewissens zu trinken. Jetzt durchschaue ich mich, und deshalb ist die angenehme Sorglosigkeit des Vergessens dahin und kehrt aller Wahrscheinlichkeit auch nie mehr wieder. Der dänische Schnaps hat mich von innen aufgewärmt, ich lebe langsam wieder auf, und mit aller Gewalt macht sich der Hunger bemerkbar.
Ich betrete einen thailändischen Schnellimbiss und bestelle mir eine Suppe. Dann öffne ich unter dem Tisch ein Bier aus der Plastiktüte, stelle es auf den Stuhl neben mir und nippe unauffällig daran. Die Suppe ist heiß und scharf, mit Kokos und Garnelen. Die Nährstoffe fließen durch meinen Körper, und ich empfinde sogar ein gewisses Wohlbefinden. Auf einmal fällt mir Egill ein, und ich möchte ihn anrufen, aber ich kann nicht, weil er sofort hören würde, dass ich getankt habe. Dieser verdammte Njörður, der dem Jungen die Polizei auf den Hals hetzt. Wenn er sich erst nach ihm erkundigt hätte, hätte ich ihm gesagt, dass er mein Bruder ist. Ich kichere in mich hinein, wie jemand auf den absurden Gedanken kommen kann, dass Egill ein mutmaßlicher Serienmörder ist. Er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Als ich mir den Satz vorsage, erinnere ich mich allerdings daran, dass Egill, als er klein war, sehr wohl Fliegen etwas zuleide tat, und überhaupt allen Insekten. Er erforschte sie, sammelte sie, bewahrte sie in Einweckgläsern auf und tötete sie manchmal. Er trocknete Regenwürmer auf dem Fensterbrett und riss Spinnen die Beine aus, um zu sehen, wie sie mit weniger Beinen laufen. Ob dieser Forscherdrang bei einem kleinen Kind unter Tierquälerei im Sinne Megans fällt? Plötzlich ist mir wieder schlecht, und ich kann die Suppe nicht aufessen, sondern bezahle und mache mich mit meiner Tüte mit den Bierflaschen auf den Heimweg.
Egill war bis zu seinem zehnten Lebensjahr Bettnässer, aber das wird dadurch aufgewogen, dass ich auch einer war. Könnte ein erblich bedingter Fluch in der Familie sein. Dann wäre da der Flächenbrand. Egill war zwölf, dreizehn Jahre alt, als der ganze Küstenstreifen unterhalb unseres Viertels in Flammen stand. Einige Fischereischuppen brannten ab und ein Boot. Die Polizei erkundigte sich nach Egill und wo er sich an jenem Tag herumgetrieben habe, aber es kam nichts dabei heraus. Was, wenn Egill den Brand gelegt hatte? Das muss nicht automatisch bedeuten, dass er der Serienmörder ist. Zum Teufel noch mal. Der dänische Schnaps und das Bier haben mehr bewirkt, als mich ins Lot zu bringen, denn ich habe Probleme, logisch zu denken. Ich habe im Grunde keine Angst, dass Egill der Serienmörder ist. Ich weiß, dass er ein anständiger Junge ist und es gut mit allen meint und nie einem anderen Menschen absichtlich schaden könnte. Allerdings könnte der Polizei so manches an seinem Verhalten und in seiner Vergangenheit verdächtig erscheinen, und er könnte in Schwierigkeiten geraten.
Jetzt, wo es mir wieder bessergeht, will ich mir mein klares Denken bewahren. Ich werfe die Tüte in den nächsten Mülleimer und beschließe, zum Laugavegur umzudrehen und bei Fríða vorbeizuschauen. Ich will sie um Verzeihung bitten, falls sie mein Rufen vergangene Nacht gehört hat, und nachsehen, ob sie nicht mit mir zum Meeting gehen will. Ich habe nicht vor, weiter zu trinken. Ich will heute noch Egill erreichen und mich erkundigen, wie es ihm geht. Der verantwortungsvolle Bruder sein und versuchen, ihn in seiner jetzigen Situation zu unterstützen. Betrunken bin ich nicht sehr viel nütze.
Sowie ich um die Ecke biege, sehe ich, dass Fríðas Straße voller Polizeiwagen ist. Die blinkenden Blaulichter machen das Winterlicht noch kälter, und ein schneidender Wind fegt durch die Straße direkt in mein Gesicht wie ein Unglücksbote. Ich weiß sofort, dass Fríða etwas passiert ist. Die Tür zu ihrem Haus steht offen, und auf der Treppe spricht Njörður mit ein paar uniformierten Polizisten.
«Njörður!», rufe ich und winke. Das gelbe Plastikabsperrband ist quer über die Straße gespannt. Njörður sieht auf und blickt suchend um sich. Als er mich sieht, läuft er sofort auf mich zu, hebt das gelbe Band hoch, ergreift meinen Arm und dirigiert mich darunter durch.
«Der richtige Mann am richtigen Ort!», knurrt er und zieht mich ins
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