Zwoelf Schritte
«böser Polizist und guter Polizist», oder Iðunn verdächtigt mich nicht. Es kann nicht sein, dass sie mich verdächtigt. Sie kennt mich am besten von allen.
Iðunn bietet mir an, mich heimzufahren, und wir gehen gemeinsam die Treppe hinunter und auf die Stufen hinaus, wo ich heute Nacht eingeschlafen bin. Vielleicht war der Verrückte bei ihr, als ich besoffen vor ihrer Haustür pennte. Ein Gefühl packt mich, es ist eher Entsetzen als der Ekel, den ich normalerweise vor mir selbst nach einem Besäufnis empfinde. Iðunn nimmt eine kleine Tasche aus einem der Polizeiautos und lehnt Njörðurs Begleitung dankend ab. Als wir zur Hverfisgata hinunterfahren, sagt sie:
«Ich merke am Geruch, dass du getrunken hast.»
«Ja, nachdem der Mörder nach dem Zwölf-Schritte-Programm tötet, fand ich es besser, nicht damit zu arbeiten und die AA zu meiden, bis er gefasst ist.»
«Wie clever von dir, Magni. Die Arroganz und die Ausflüchte sind wieder da. Glückwunsch. Ich habe sowieso nicht daran geglaubt, dass es bei dir klappt.»
Als wir beim Haus angelangt sind und ich mich von ihr verabschieden will, steigt sie aus dem Auto und nimmt die kleine Tasche mit.
«Ich muss Fingerabdrücke und DNA -Proben von dir nehmen», sagt sie.
Ich sitze auf dem Sofa, Iðunn setzt sich auf den Sessel gegenüber und reiht die Sachen aus dem Täschchen zwischen uns auf dem Tisch auf. Die Abdrücke von meinen Fingern kommen in die entsprechenden Felder eines Formulars, das Iðunn anschließend in eine Plastikhülle steckt. Dann nimmt sie ein Wattestäbchen und lässt mich den Mund öffnen. Es dauert ewig, als würde sie die Innenseite der Wange abschaben.
«Ich brauche dir vermutlich nicht extra zu erklären, dass du, nachdem du jetzt zum Kreis der Verdächtigen gehörst, uns nicht mehr bei den Ermittlungen unterstützen kannst», sagt sie, während sie ihre Utensilien zusammenpackt. Ich nicke und sinke auf das Sofa. Sobald Iðunn die Tür hinter sich geschlossen hat, schlage ich die tintenbefleckten Hände vors Gesicht und weine wie ein Kind.
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Neuntes Kapitel Wiedergutmachung
Seitdem ich von den Ermittlungen ausgeschlossen bin, bin ich einsam. Ich habe zwar vorher genauso viele Stunden allein zugebracht, doch das Gefühl der Zugehörigkeit ist verschwunden. Es verleiht dem Leben eine traurige Aura der Sinnlosigkeit, wenn man an niemanden ein Anliegen hat und sich um nichts mehr kümmern muss. Ich kann mich nicht dazu aufraffen, an der Übersetzung weiterzuarbeiten, mit der ich begonnen habe. Schon der Gedanke, bloß dazusitzen, versetzt meinen Körper in eine irritierende Unruhe. Ich habe dem Verlag mitgeteilt, dass ich krank bin und nicht sofort abgeben werde. Außerdem bin ich nach dem Trinken tatsächlich krank. Der Magen rebelliert, mir ist den ganzen Tag mehr oder weniger schlecht, ich habe seit meiner Ausnüchterung ständig Kopfschmerzen, und am vierten Tag stellt sich nach dem physischen der psychische Kater ein mit all seiner Betäubung und Reue. Was mich jedoch am meisten quält, ist die Erinnerung an den Ausdruck in Iðunns Gesicht, als sie sich in Fríðas Wohnung auf mich stürzte. Die nervösen Zuckungen in ihrem Mundwinkel und der leicht flatternde Blick machten deutlich, dass sie nicht nur wütend war wegen der Ermittlungen und wegen mir, weil ich auf die Liste der Verdächtigen geraten bin, sondern regelrecht verletzt. Ich versuche, mich an meine eigene Verletztheit zu erinnern, als sie mich am Abend verließ und sagte, dass unser zärtliches Beisammensein ein Fehler gewesen sei, und bemühe mich, sie als Gegengift gegen das Schuldgefühl einzusetzen. Aber ich empfand auch Schuld, als ich Fríða in der Küche küsste, und wusste in meinem Innersten, dass ich etwas Falsches tat. Nicht falsch, was die allgemeinen Spielregeln der Liebe betrifft, sondern gegenüber meinen eigenen Gefühlen und den unausgesprochenen, unverständlichen und ungekappten Banden, die immer noch zwischen mir und Iðunn bestehen. Ich kann mich nicht von dem Gefühl frei machen, dass Fríða ein Opfer meines frevelhaften Verhaltens geworden ist, obwohl dieses Gefühl weit hergeholt und mit Worten nicht richtig zu beschreiben ist.
Ich warte auf das Ermittlungsteam, das um elf Uhr kommen wollte, um mich offiziell zu verhören. Iðunn hat nur die wichtigsten Informationen über meine Aufenthaltsorte in der Saufnacht notiert und wann ich Fríða zuerst gesehen habe, wie wir uns kennengelernt haben, wie gut ich sie
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