Zwölf Wasser
da rauszuholen. Fander stieß ihn an, deutete mit dem Finger. Der Koch! Etwas weiter weg und deutlich tiefer saß der schmächtige Mann auf dem Kadaver seines auf einem weiteren Vorsprung zerschlagenen Packpferds. Er war blutüberströmt und wusste offensichtlich nicht so recht,was mit ihm geschehen war: Verwirrt blickte er um sich, sah zu Kersted und Fander herauf, dann wieder hinab in die lodernde Tiefe. Er musste da weg, wenn er nicht selbst allmählich gekocht werden wollte.
Auf die beiden knienden Welsen fiel ein kalter Hauch hinab, der ihnen die Nackenhaare aufstellte. Utate war hinter sie getreten. Sie zog ihren Umhang aus und reichte ihn Kersted. Das silbrige Gewebe war leicht wie feinste Seide, fühlte sich aber kühl und fest an wie Metall. Kersted knotete einen Zipfel ums Handgelenk. Es war, als würde er die Finger in Eiswasser tauchen.
Die Rettungsaktion verlief unspektakulär, nur der Koch machte Probleme. Nendsing krallte sich sofort in den hinabgereichten Umhang – wahrlich ein Kätzchen, auch beinahe so leicht – und ließ sich hochziehen. Der Koch hatte es schwerer. Er würde erst selbst an der zerklüfteten Wand hochklettern müssen, bevor sie ihn das letzte Stück über die Kante hieven konnten. Aber was tat er? Zuerst sammelte er so viel Gerätschaften und Vorräte zusammen – Säcke, Taschen, eine Kanne, zwei Töpfe, langstielige Pfannen –, dass er sie kaum tragen konnte. Nendsing, die Haare immer noch gesträubt und feuerrot im Gesicht, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie legte sich flach auf den Bauch und rief in die Schlucht hinunter, brüllte geradezu. Kersted beobachtete fasziniert den erneuten Kraftausbruch dieser zierlichen Person – es musste Nendsing einige Mühe bereitet haben, ein scheues Ding zu spielen. Der Koch war nicht bereit, sich von seinen Sachen zu trennen, auf Nendsings Rufe hin änderte er aber seine Vorgehensweise. Aus einer Kopfwunde stark blutend, kletterte er nun in glühender Hitze viele Male auf und ab, bis er jedes Teil einzeln auf den schmalen Steinsteg geschafft und angeknotet hatte. Dann erst schlang er den Umhang um das eigene Handgelenk, sodass sie den dürren, zähen Mann endlichaus der Schlucht ziehen konnten. Der warf, glücklich oben angekommen, noch einen kurzen Blick auf den Haufen geretteter Utensilien, dann brach er entkräftet zusammen.
4
Die Kluft wurde nach Norden hin breiter, es sah aus, als habe jemand einen gewaltigen Keil schräg in den Erdboden getrieben. Nach ein paar heftigen Schlägen war es dann genug gewesen und nun lag das Land tief gespalten da. Während Utate sich um den Verletzten kümmerte, schritten Kersted und Fander auf der Suche nach weiteren Überlebenden den Abgrund ab. Sie gingen vorsichtig; der Boden bebte zwar nicht mehr, war aber nahe der Kante unsicher. Der Teil der Ebene, auf dem sie sich befanden, war um zwanzig Schritte und mehr abgesackt, sodass die gegenüberliegende Bruchkante wie eine Wand emporragte. Warum hatte sich die Erde hier aufgetan und ausgerechnet dann, als sie entlanggeritten kamen? Seit fast vier Zehnen waren sie unterwegs, keinem Menschen – keinem einzigen Menschen! – waren sie begegnet, seit sie aus den Wäldern heraus waren und die befestigte Straße sich im sandigen Rotbraun der Ebene verloren hatte. Die Lande der Steppenläufer waren wie ausgestorben. Nun hatte dieses Land über zwanzig Menschen den Tod gebracht. Kersted schluckte, sein Mund war mit einem Mal trocken geworden. Fast alle waren tot. Waren hinabgestürzt in diesen furchtbaren Abgrund. Konnte das ein Zufall sein? » Etwas geht vor «, murmelte Kersted und er hatte den Eindruck, seine eigene Stimme als mürrisches Brummen unter dem hellen Klirren in seinen Ohren hören zu können.
An den schroffen Wänden der Kluft hingen Zeichen des Todes wie ausgefallene Haare in den Zinken eines Kamms: Gepäckstücke, blutiges Sattelzeug, ein einzelner, wie sorgsam abgelegter Helm.
»Lass uns umkehren, es hat keinen Sinn«, sagte Kersted. Er hatte das Gefühl, zu laut und gleichzeitig undeutlich zu sprechen. Aber Fander nickte.
Nendsing kam ihnen entgegengelaufen. Vorsichtig!, wollte Kersted rufen, aber da lag sie schon wieder auf dem Bauch und deutete auf die gegenüberliegende Wand der Kluft. Er legte sich neben sie und schaute hinab. Diese Frau hatte wirklich scharfe Augen, bessere als beide Welsen zusammen. Sie hatten das tote Pferd dort drüben zwar auch gesehen. Aber nicht den Mann dahinter.
Der
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