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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Estrid, die Segurenstadt unter Pram. Ihr werdet staunen, was es dort alles gibt unter der Erde. Wenn man schon irgendwo eingekerkert wird, dann ist die Hama Enfra auf dem gesamten Kontinent der beste Ort dafür.«

In den Verlorenen,
    Temrest im Solder 107 tergde

    Gelehrter Freund   –

    was für ein Unterschied es doch ist, auf einer gut ausgebauten Steinstraße zu reisen oder mit kleinen Booten durch ein Insellabyrinth zu staken! Diese Fahrt ist ungemein beschwerlich und dabei gleichzeitig so unwirklich trübe und eintönig, dass ich ganze Tage mit dem Kinn auf der Brust verdämmere. Ein Lichtblick: Unsere beiden Führer sind aufgeweckte, fröhliche Burschen, ungebildet, aber mit gesundem segurischem Wissensdurst ausgestattet. Die beiden sind hier an der Mündung des Flusses aufgewachsen und kennen viele Geschichten, wollen aber von mir immer noch neue hören.

    Nun gut, das Bemerkenswerte, das diesen Brief veranlasst, ist ein weißer Schaum. Das mag sich drollig anhören, hat aber unsere beiden Bootsmänner zunächst äußerst beunruhigt. Denn es scheint, der ohnehin träge Fluss versumpfe darunter. Außerdem ist es wohl so, dass der Schaum ursprünglich von flussaufwärts kommt und hier im Schilf und zwischen den Stelzwurzeln der Avikenien hängen bleibt. Es mutet seltsam an … einerseits so, als sei der Eldron todkrank. Andererseits wirkt es auf unwirkliche, fast traumhafte Art so sanft und gut. Als habe jemand den Fluss, die Pflanzen, die Bäume, ja das ganze Land hier in dieses feine, dichte Schaumkleid gepackt, um es zu schützen. Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir die Verlorenen endlich hinter uns haben und an die Pforte des Südens gelangt sein werden.

    Erschöpft, aber deshalb nicht weniger
    Euch ergeben

    Helgend von Gaspen

    Auch wenn es mir in dieser Gegend, in diesem Boot nicht so vorkommt: Die Zeit vergeht. Nachts wird es hier über dem Fluss schon empfindlich kühl, der Lendern verabschiedet sich allmählich. O weh, wenn erst der Regen einsetzt, wird auch mein Rückenleiden wiederkehren …

FÜNF
DIE UNGEZÄHLTEN SCHLUCHTEN
1
    Felt hielt die kleine Schale des Nordweisers in der Hand, schaute angestrengt geradeaus und dann nach oben. Hinter den Dunstschleiern suchte er die Sonne.
    »Immer noch links von uns, nicht wahr?«
    Babu blickte ebenfalls auf und sah den fahlen Schein im verwaschenen Grau. Er nickte.
    »Gut, dann gehen wir weiter.«
    Juhut saß auf Babus Arm und ließ sich tragen, war wie in einem Dämmerschlaf versunken. Für Falkenaugen gab es hier nichts zu sehen. Babu fühlte sich selbstsicherer und fast wie ein echter Szasran, seitdem er sich in Wiatraïn ganz dem Willen der Szasla unterworfen hatte. Er hoffte, dem Falken als Sprachrohr dienen zu können. Bisher war noch jedes Wort von Juhut in Babus Kopf zu einem heftigen Kopfschmerz explodiert; in der weißen Einsamkeit der Galaten hatte er sich sogar einen Splitter aus erstarrtem Wolfsblut in die Stirn gedrückt, als Gegengewicht zum Schmerz. Nun aber, nach dem Aufenthalt in der Wolkenstadt, könnte sich das vielleicht ändern und eine Verständigung gelingen. Es hatte sich so vieles geändert. Juhut hatte das Gefieder gewechselt und war ganz weiß geworden   – und Babu hatte sich von seiner Vergangenheit gelöst. Das glaubte er jedenfalls und er bemühte sich, auf diesem schleppenden, beinahe tastenden Marsch durch den Dunst nicht in Grübeleien zu verfallen. Ganz besonders den Gedanken an den Thon, den Gedanken an Rache, hatte Babu in seiner Erinnerung vergraben, wie ein Baumhörnchen zum Ende des Lenderns die Nüsse vergräbt. Anders als das Tier jedoch hoffte Babu darauf, im Laufe der Zeit das Versteck zu vergessen. Denn nur wenn der Rachegedanke unauffindbar blieb, würde Babu völlig frei sein, das hatte er begriffen. Es war aber nicht leicht, einen bestimmten Gedanken nicht zu denken, ein bestimmtes Gefühl nicht zu fühlen. Insbesondere dann, wenn man aus der Abgeschiedenheit der Wolkenstadt wieder in die Welt zurückgekehrt war.
    Felt hatte zurückgewollt, Babu hatte sich angeschlossen. Er hätte auch in Wiatraïn bleiben können, für immer. Sein Geist war mit dem Falken über der riesigen, leeren, grotesken Stadt gekreist, und das hatte Babu genügt. Die Erkenntnis aber, zu der das Wasser der Quelle in Wiatraïn sie geführt hatte, lautete: Der Kampf lohnt sich, selbst wenn er verloren geht. Nun, da sie wussten, was vorging   – nämlich dass der Kontinent auseinanderbrechen und die Menschheit von Dämonen

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