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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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vorwärts, immer vorwärts. Sogar seine Stiefel waren ihm zu weit geworden und in seinem Brustpanzer kam er sich vor wie eine in ihrem Haus vertrocknende Schnecke. Das Schwert schien nicht auf der Hüfte zu sitzen, sondern direkt an den Knochen gehängt zu sein; es schmerzte bei jedem Schritt, aber Felt hatte nicht die Kraft, das Futteral zu greifen und es daran zu hindern, ihm gegen sein Bein zu schlagen. Dabei hätte er die Waffe auch ablegen und ins Gras fallen lassen können. Was sollte er noch mit dem Schwert anfangen? Er konnte Anda nicht mehr gebrauchen. Denn er hatte keine Schwerthand mehr.
    Seit er denken konnte, hatte Felt ein Schwert in seiner Rechten geführt … Wie alt war er nun? Bald zweiundvierzig Soldern, er hatte Geburtstag, wenn der Firsten beinahe überstanden war, im Manor Felt. Sein Vater war kein besonders fantasievoller Mann gewesen und hatte dem Sohn den Namen des Manors gegeben, in dem er zur Welt gekommen war. Welcher Manor mochte nun sein? Und spielte es überhaupt eine Rolle? Hier, auf den Schleierfeldern, war es nachts kaum kühler als tagsüber, wobei sich Tag und Nacht auch nur durch Schattierungen im Grau unterschieden. Es war nie wirklich hell und wurde nie vollends dunkel. Weder Sonne noch Mond zeigten ihre blanken, leuchtenden Gesichter. Felt sehnte sich nach Klarheit, nach klirrender Kälte und dem harten Aufeinandertreffen von eisblauem Himmel und schneebedecktem Felsgestein.
    Er wäre sofort gestorben, beim ersten Atemzug der dünnen, kalten Luft.
    Seltsamer Gedanke, dass der Berg, die Heimat, ihn töten würde und im Gegensatz dazu die eintönigen, gleichbleibend temperierten, gleichbleibend diesigen, gleichbleibend flachen Schleierfelder seinen Hungertod hinauszögerten. Dieser Landstrich war bar aller Reize, er schonte die Wandernden, das begriff Felt erst jetzt. Aber wo die Sinne wenig zu tun haben, da erfinden sie sich eine Beschäftigung.
    Felt ging eine Zeit lang neben Wigo her.
    Er sah den Chronisten ganz deutlich im Augenwinkel, wagte aber nicht, den Kopf zu ihm zu wenden. Wigo litt augenscheinlich keinen Hunger, er gestikulierte kraftvoll, als er schließlich zu sprechen begann, und sein Haar stand ihm wirr vom Kopf ab wie eh und je.
    »Wir werden sterben, und zwar bald. Nicht wie du denkst, Felt, sei nicht so verdammt empfindlich. Dir bleibt noch etwas Zeit und ich bin schon tot. Mit wir meine ich uns alle , die Menschen. Wir werden sterben, denn nichts kann Asing aufhalten. Sie ist hier, in unserer Welt, aber sie ist nicht fassbar.«
    Wigo tat, als wolle er sich am Bart zupfen, und griff durch sein nebelhaftes Kinn hindurch. Er lachte kurz auf.
    »Verzeihung, das war ein alberner Witz. Aber du musst verstehen, Felt: Asing ist gestaltlos. Sie ist lodernde Wut, brennender Hass, glühende Rachlust. Sie ist in den tiefsten Feuern der Erde und sie ist in jedem von uns   – sie ist der mächtigste Dämon, den man sich denken kann.«
    »Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, sie aufzuhalten«, sagte Felt. Er nahm seinen Helm ab, fuhr sich durch die Haare. »Es kann doch nicht einfach alles vorbei sein.«
    Wigo schien einen Blick auf den kleinen, ledernen Beutel zu werfen, der Felt am sehnigen Hals baumelte.
    »Du bist ein lausiger Zuhörer«, sagte er etwas zusammenhangslos.
    »Und du bist nur ein Trugbild«, gab Felt zurück. »Du bist nur in meinem Kopf.«
    »Immerhin!«, rief Wigo aus. Leise, beinahe verschwörerisch fügte er an: »Obwohl ich dir sagen muss: Viel ist hier nicht los.«
    Um seinem Scherz die Spitze zu nehmen, stupste Wigo Felt mit dem Ellbogen an. Sein halber Arm verschwand in Felts Seite. Der lachte rau auf, blieb stehen und wandte sich dem Freund zu.
    Und Wigo verschwand, war ein Streifen Dunst, mehr nicht.
    Es war, als krallte sich ein bösartiges Tier in Felts Herz. Es zog und zerrte, versuchte, das störrische Herz aus dem Brustkorb zu reißen. Felt ließ den Helm ins Gras fallen. Der Schmerz war entsetzlich. Seine Hände krampften sich zu schwachen, dürren Fäusten. Felt musste stehen bleiben, er konnte nicht mehr, er wollte weinen. Aber dazu fehlten ihm die Kraft und die Tränen.
    Da flog der Falke auf. Felt hörte das Schlagen der mächtigen Schwingen und darunter, kaum wahrnehmbar, einen Seufzer. Als er sich umdrehte, sah er noch den entrückten Ausdruck in Babus ausgezehrtem Gesicht: der Mund leicht geöffnet, die Augen himmelwärts verdreht, dem Wegfliegenden folgend. Dann schlossen sich die Lider und lautlos, wie trockener Schnee an

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