Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
bringt; dass sie die Schleuder zu handhaben weiß. Aber das alles hat nichts zu bedeuten. Sie hat dem Sohn meiner Gefährtin das Leben gerettet; mein Dank gehört ihr. Aber auch das hat nichts zu bedeuten. Der Brauch des Groß-Clans erlaubt keine Ausnahme. Eine Frau, die sich an der Waffe vergreift, muss sterben."
Broud lehnte sich zurück und sah jedem der Jäger ins Gesicht. Dann verschränkte er wieder die Arme vor der Brust.
"Broud hat recht", erklärte sich Dorv damit einverstanden. "Es kommt uns nicht zu, den Brauch des Clans umzustoßen. Auf eine Ausnahme folgen andere. Und bald gäbe es für uns keine festen Überlieferungen mehr. Das Mädchen muss sterben."
Einige Männer nickten zustimmend. Brun äußerte sich nicht sogleich. Broud hatte recht, ging ihm durch den Sinn. Wie könnte ich auch eine andere Entscheidung treffen! Ayla hat Brac das Leben bewahrt, aber sie nahm eine Waffe zur Hand. Einem Entschluss war Brun jedoch nicht nähergekommen und genauso unentschlossen wie an dem Tag, an dem Ayla ihre Schleuder herausgezogen und die Hyäne getötet hatte.
"Ich will mir all eure Ansichten vor Augen führen, ehe ich meine Entscheidung treffe. Jetzt aber wünsche ich, dass jeder von euch mir klar anzeigt, wie er selbst entscheiden würde", wandte sich Brun schließlich an die Männer.
Sie hockten im Halbkreis um das Feuer. Und plötzlich ließen alle die linke Hand von der Brust fallen, behielten aber die rechte oben und ballten sie zur Faust, die genau auf jedes einzelnen Herzen lag. Ein geringes Auf und Ab der Faust bedeutete, dass derjenige zustimmte, eine geringe Bewegung zur Seite, dass derjenige ablehnte.
"Grod", wandte sich Brun an seinen Stammeszweiten. "Soll das Mädchen sterben?"
Grod zögerte. Er fühlte mit dem Clan-Führer, der sich in einem so fürchterlichen Zwiespalt befand. Seit vielen Jahren war er Bruns rechte Hand. Er spürte, was in ihm vorging, und er hatte große Achtung vor dem Mann. Dennoch sah er keine n Ausweg. Er zog die Faust hoch und wieder abwärts.
"Es bleibt mir nichts übrig", hieß Grods entschuldigendes Schulterzucken.
"Grod ist dafür. Droog?" Brun deutete auf den Werkzeugmacher.
Droog zögerte nicht. Mit rascher Bewegung fuhr er sich seitwärts über die Brust.
"Droog ist dagegen. Crug?"
Crug sah Brun an, dann den Mog- ur, schließlich Broud. Er schob die Faust aufwärts.
"Crug ist dafür, dass das Mädchen stirbt", stellte Brun fest.
"Goov?" Des Mog- urs Gehilfe fuhr sich sogleich quer über die Brust.
"Goov ist dagegen. Broud?" Brouds Faust zuckte aufwärts, noch ehe Brun seinen Namen ausgesprochen hatte. "Broud ist dafür. Zoug?" Stolz richtete der alte Jäger sich auf und führte langsam und bedächtig die Faust quer über die Brust.
"Zoug will das Mädchen nicht sterben sehen. Was meinst du, Dorv?"
Die Faust des anderen alten Mannes hob sich, und noch ehe er sie wieder gesenkt hatte, richteten sich aller Augen auf den Mog- ur. "Dorv ist dafür. Und was sagst du, Mog-ur?" Brun war aufs äußerste gespannt. Wie die anderen entscheiden würden, hatte er sich denken können. Doch bei dem alten Zauberer war er sich nicht sicher.
Creb quälte sich noch immer ab mit seinen Gedanken. Er kannte den Brauch des Groß-Clans. Er selbst war schuld an Aylas schwerem Vergehen. Er hatte ihr zuviel Freiheit gelassen. Er befürchtete, seine Zuneigung zu ihr würde ihn blenden und ihn verleiten, den Clan-Brauch hintanzustellen. Es war ganz klar. Sie musste sterben. Schon wollte er die Faust heben, doch ehe er dazu auch nur ansetzen konnte, riß es ihm die Faust zur Seite, als würde sie von einer fremden, unsichtbaren Macht geführt. Er konnte es nicht über das Herz bringen, Ayla zu verdammen, wenn er auch, sobald die Entscheidung gefallen war, tun würde, was er tun musste. Und die Entscheidung lag allein bei Brun.
"Die Meinungen gehen zu gleichen Teilen auseinander", verkündete der Clan-Führer. "Aber der Entscheid war immer der meine. Es galt, erst zu sehen, wie ein jeder unter euch sich zu der Sache stellt. Ich brauche Zeit, um eure Gründe genauer zu betrachten. Der Mog- ur hat uns kundgetan, dass er heute abend die Geister beschwören wird. Das ist gut so. Ich brauche den Beistand der Geister, und wir alle brauchen ihren Schutz. Wenn die Nacht um ist, werde ich euch meinen Entscheid wissen lassen. Auch das Mädchen soll ihn dann erfahren. Geht jetzt und bereitet euch auf die Feier vor."
Brun blieb allein am Feuer zurück, nachdem die Männer gegangen waren. Von scharfen Winden
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