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Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären

Titel: Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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schlug einfach Kerben in einen Stock. Sie ahnte, dass die vielen genarbten Stöcke, die der Mog-ur in einer Ecke seiner Feuerstätte aufbewahrte, wo sonst niemand sich hinwagen durfte, die Reihen von Tagen zeigten, die zwischen bedeutsamen Ereignissen vergangen waren. Einmal hatte sie aus reiner Neugier beschlossen, ebenso wie er die Zeit festzuhalten. Da sie wusste, dass der Mond immer die gleichen Wandlungen durchmachte und nach einer Weile wieder das gleiche Gesicht zeigte, wollte sie sehen und begreifen lernen, wie viele Kerben man würde schlagen müssen, ehe das Mondgesicht wieder das gleiche war. Als Creb ihr auf die Schliche gekommen war, hatte er sie streng zurechtgewiesen und sie gemahnt, das nie wieder zu tun.
Nun saß das Mädchen also vor seiner Höhle, und plötzlich war ihm klar, wie es den Tag erkennen konnte, an dem die Wiederkehr zur Höhle gestattet war. Ayla beschloß, jeden Tag bei Sonnenuntergang eine Kerbe in einen Stock zu schlagen. Und jedesmal, wenn sie zu ihrem Messer griff, sprangen ihr die Tränen in die Augen, so sehr sie sich auch bemühte, sie zurückzuhalten.
In jenen Tagen musste Ayla häufig weinen. Kleine Begebenheiten weckten Erinnerungen an Wärme und Geborgenheit. Als ein Kaninchen über den Weg hoppelte, musste sie sofort an die langen, ausführlichen Wanderungen mit Creb denken und an sein zernarbtes, zerrissenes Gesicht. Wenn sie Pflanzen sah, die sie früher für Iza gesammelt hatte, brach sie in heilloses Schluchzen aus, und ein Weinkrampf schüttelte sie, wenn sie wieder vor Augen hatte, wie Creb ihren Medizinbeutel verbrannte.
Am schlimmsten aber waren die Nächte. Jahr um Jahr war das Mädchen bei Tag allein durch Wälder und Wiesen gestreift, des Nachts aber niemals allein gewesen. Und wenn es jetzt so einsam und verlassen in der kleinen Höhle hockte und ins Feuer starrte, dessen flackernder Schein unruhig an den Felswänden zitterte, weinte es sich die Augen aus nach jenen Menschen, die ihm Geborgenheit und Wärme gegeben hatten.
Eines Nachts kam heimlich und leise der erste Schnee. Ayla jauchzte vor Freude, als sie am Morgen aus der Höhle trat. Leuchtendes Weiß lag weich und schmeichelnd über dem vertrauten Land und verwandelte es in ein Traumland unvorstellbarer Formen und sagenhafter Pflanzen. Ayla blickte auf die Abdrücke ihrer Fußhüllen, die wie kleine dunkle Schatten im ungebrochenen Weiß lagen, dann rannte sie leichtfüßig durch den gleißenden Schnee und spurte ein wildes Muster von Kreisen und sich kreuzenden Linien in die weiße Decke. Plötzlich hob sie den Kopf und kletterte hinauf zum schmalen Sims des Felsvorsprungs, den ein eifriger Wind vom Schnee leergefegt hatte.
Die ganze Kette himmelhoher Berggipfel hinter ihr war in bläulich schimmerndes Weiß getaucht und stand funkelnd in der blitzenden Morgensonne. Auf dem großen blaugrünen Wasser zwischen den beiden Bergen tanzten weiße Schaumkronen. Die Steppen nach Sonnenaufgang zu dehnten sich noch in einem matten Graugelb. Direkt unter sich konnte Ayla winzige Gestalten ausmachen, die hin und her huschten. Auch dort, wo die Höhle des Clans liegen musste, hatte es geschneit. Eine der Gestalten knickte beim Laufen immer ein. Und plötzlich war für sie alles Zauberhafte verschwunden. Hastig kletterte Ayla wieder zur Wiese hinunter.
Der zweite Schneefall hatte schon nichts Besonderes mehr. Über Nacht war es eiskalt geworden, und wenn sie die Höhle verließ, warf der Wind Ayla stechende Eiskristalle ins Gesicht, so dass sie lieber in der Höhle blieb. Vier Tage dauerte der Schneesturm und häufte soviel Schnee an der Felswand auf, dass der Einschlupf zu Aylas Höhle fast gänzlich verdeckt war. Mit beiden Händen und dem flachen Hüftknochen des Rehs grub sich das Mädchen einen schmalen Durchlaß nach draußen und sammelte den ganzen Tag Holz. Die Rauchfeuer zum Dörren hatten zu viel gebraucht. Nährendes war genug vorhanden, für eine ganze Weile noch, doch Holz war nötig. Das bißchen, das da hinten in der Ecke lag, würde bestimmt nicht ausreichen. Wenn es noch weiter schneite, würde sie die Höhle überhaupt nicht mehr verlassen können.
Zum erstenmal, seit sie ihre Zuflucht wiederentdeckt hatte, fürchtete sie um ihr Leben. Die Bergwiese war zu hoch gelegen. Und wenn die Höhle zuschneite, würde sie den Winter nicht überleben. Es war ihr keine Zeit gegeben, sich auf die lange, tödlich weiße Kältnis einzurichten.
Die Arme voller knorriger Äste kehrte Ayla erst am späten Nachmittag

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