Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Bruder scharf an, als er fortruhr: "Nie habe ich eine Gefährtin genommen. Ich hätte eine wählen können, und sie hätte mit mir leben müssen, doch ich tat es nicht. Und wißt ihr, warum? Brun, hast du nur einmal bemerkt, wie die Frauen mich anschauen? Hast du gesehen, wie sie mir aus dem Weg gehen? Ich hatte auch meine Lendenlust, als ich jung war, aber ich lernte, sie zu bezwingen, denn die Frauen wandten mir den Rücken zu, um nicht sehen zu müssen, dass ich ihnen ein Zeichen gab. Niemals hätte ich meinen Krüppelkörper einer Frau aufgezwungen, die sich bei meinen Anblick voller Abscheu zeigte.
Aber Ayla hat sich niemals von mir abgewandt. Vom ersten Tag an kam sie mir entgegen und berührte mich. Sie hatte keine Angst vor mir und zeigte keinen Abscheu. Sie gab mir ihre Liebe und öffnete mir ihr Herz. Wie hätte ich sie schelten können, Brun?
Seit meiner Geburt habe ich in diesem Clan gelebt, doch habe ich das Jagen nie gelernt. Wie könnte auch ein Krüppel jagen? Ich war eine Last, ich wurde verspottet, ich wurde eine Frau genannt. Jetzt bin ich der Mog-ur, und keiner spottet meiner, aber eine Feier zum Mann wurde für mich niemals gehalten. Ich bin nicht einmal das Zerrbild eines Mannes, Brun. Ich bin überhaupt kein Mann. Nur Ayla gab mir ihre Liebe - nicht dem Zauberer, sondern mir, dem Erdlings-Mann. Und mich sah sie als Ganzes. Sie nahm ich in mein Herz als das Kind der Gefährtin, die ich niemals hatte."
Creb schüttelte den Umhang ab und streckte den Armstumpf aus, den er sonst niemals zeigte. "Brun, sieh her, dies ist der, den Ayla als ganzen Mann sah. Dies ist der Mann, der ihr zum Vorbild wurde. Dies ist der Mann, den sie liebt und an dem sie ihren Sohn nun mißt. Sieh mich an, mein Bruder! Verdiente ich zu leben? Verdient Aylas Sohn weniger zu leben?"
Im trüben Zwielicht der Morgendämmerung versammelten sich die Clan-Leute vor der Höhle. Ein feiner Regen, der wie Dunst in der Luft hing, warf einen Schimmer über Felsen und Bäume und sammelte sich in den Haaren und Barten der Leute. Zarte Wasserfäden, die von den nebelverhüllten Gipfeln herabkrochen, versponnen sich in den Hangmulden, und dicht wogende Schwaden verbargen die Ebene.
Ayla lag wach auf ihrem Schlafpelz in der düsteren Höhle und sah zu, wie Iza und Uba sich leise am Feuer zu schaffen machten, frisches Holz auflegten und Wasser wärmten für den Morgentrunk. Ihr Kind schlief noch. Sie aber hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Bald war die erste he lle Freude, Iza nun doch noch wiederzusehen, finsterer Verzweiflung gewichen. Kein Mitteilen wollte zustande kommen, und so hatten die zwei Frauen und das Mädchen fast den ganzen langen Tag über dumpf und reglos am Feuer gehockt und das, was sie empfanden, einander nur mit angstvollen Blicken mitgeteilt.
Creb hatte den Wohnkreis seiner Feuerstätte den ganzen Tag nicht betreten; einmal jedoch fing Ayla einen Blick von ihm auf, als er aus der Zauberhöhle humpelte, um sich zu den Männern zu begeben, die in Beratung beieinander saßen. Er hatte sich hastig abgewandt, doch sie hatte den warmen Ausdruck von Liebe und Mitleid in seinem Auge wohl gesehen. Ayla und Iza tauschten einen ängstlichahnungsvollen Blick, als sie Creb in die Höhle der Geister eilen sahen, nachdem er weit hinten in der Höhle lang mit Brun zusammengesessen hatte. Der Clan-Führer hatte seinen Entscheid getroffen, und Creb musste nun den Zauber richten.
Iza brachte Ayla den Morgentrunk in dem vertrauten Becher, der ihr nun schon so lange gehörte, und setzte sich still neben sie. Dann kam Uba, aber auch sie fand keine Zeichen der Ermutigung oder des Trostes.
"Fast alle sind draußen. Wir müssen gehen", bedeutete Iza und nahm Ayla den Becher aus den Händen.
Ayla stand auf. Sie wickelte ihren Sohn in das Tragfell, nahm ihren Pelzumhang vom Schlaflager und warf ihn sich über die Schultern. Wasser schimmerte in ihren Augen. Sie sah erst Iza an, dann Uba. Verzweifelt schrie Ayla auf und umfaßte die beiden. Alle drei schmiegten sich in schmerzlicher Umarmung aneinander. Dann ging Ayla aus der Höhle.
Sie hielt den Kopf gesenkt, und als ihr Auge hier und dort den Abdruck einer Ferse oder die verwischten Umrisse von Füßen wahrnahm, beschlich sie das unheimliche Gefühl, es wäre wie damals. Und sie folgte Creb dem Tod entgegen. An jenem Tag hätte er mich für ewig verfluchen sollen, dachte sie. Ich wurde geboren, um verflucht zu werden. Warum denn sonst muß ich das noch einmal erleiden? Doch heute werde ich
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