Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
seiner pelzigen Pranke einem Hirsch das Genick brechen konnte; nicht auszudenken, wozu dann dieses gewaltige Tier fähig war. Nur ein männliches Tier wagte es, während der Brunst den Kampf mit seinesgleichen aufzunehmen, oder eine Bärin, die um ihre Jungen fürchtete. Und sie siegte immer.
Doch nicht nur die ungeheuerliche Größe des Bären hielt die Erdlinge in Bann. Dies war der Höhlenbär, ihr Totem, dessen Geist alle Clans des Groß-Clans zusammenband. Er war ihnen verwandt; in ihm war ihrer aller Geist vereinigt. Allein seine Gebeine besaßen solche Kraft, dass sie alles Böse abwehren konnten. Das, was sie mit ihm verband, war ein Über-Denken der eigenen Herkunft und der eigenen Art, für die der Bär das Sinnbild war. Deshalb war auch das große Miething, zu dem zu gelangen sie schon viel Weg unter die Füße genommen hatten, von so hoher Bedeutung. Da sich diese Erdlinge den Höhlenbären als Einigendes vorstellten, waren ihre Clans durch ihn vereint, zum Groß-Clan nämlich - zum Clan des Bären.
Jetzt aber hatte der Pelzriese sich genug gekratzt. Er reckte sich auf seine volle Höhe, trottete ein paar Schritte auf den Hinterbeinen daher und ließ sich dann auf alle viere nieder. Die Schnauze am Boden tapste er lautlos davon.
"War das der Höhlenbär?" fragte Uba mit zitternder Hand und weit aufgerissenen Augen.
"Ja, das war der Höhlenbär", bestätigte Creb. "Und wenn wir zum gastgebenden Clan kommen, wirst du noch einen sehen."
"Hat dieser Clan denn wirklich einen lebendigen Bären in seiner Höhle?" wollte Ayla wissen. "Er ist so riesengroß."
Sie kannte den Brauch, der bestimmte, dass der Clan, der das große Miething ausrichten würde, einen jungen Höhlenbären einzufangen und in seiner Höhle großzuziehen hatte.
"Jetzt wird er wohl in einem mächtigen Pfahlverhau außerhalb der Höhle sein. Aber als der Bär noch klein war, lebte er mit den Nachbar-Clan-Leuten in der Höhle und wurde großgezogen wie ein Kind. Nahrung bekam er an jeder Feuerstätte, wann immer er hungrig war. Viele Clans behaupten, dass ihre Höhlenbären sogar ein wenig ihrer Zeichensprache erlernten. Aber ich war jung in den Tagen, als das große Miething in unserer Höhle abgehalten wurde. Ich weiß nicht mehr viel davon und kann euch nicht bedeuten, ob es auch wirklich so gemacht wird. Wenn dann der Bär größer geworden ist, wird er in einen Pfahlverhau gesteckt, damit er keinen verletzen kann; aber alle füttern ihn und streicheln ihn weiter, damit er spürt, dass man ihm wohlgesonnen ist. Auf dem Fest des Bären wird er schließlich geehrt, und er wird unsere Bitten in die Welt der Geister bringen", erklärte der Mog- ur mit geduldiger Gebärde.
"Und wann halten wir das große Miething ab und ziehen bei uns einen Höhlenbären groß?" erkundigte sich Uba.
"Wenn wir an der Reihe sind. Es sei denn, der Clan, dem es zufällt, vermag es nicht. Dann können wir uns anbieten. Aber kein Clan will übergangen sein oder unfähig, ein solches Miething auszurichten, auch wenn die Jäger manches Mal weit durch das Land zu ziehen haben, um ein Bärenjunges aufzuspüren, selbst wenn ihnen von der Bärenmutter größte Gefahr droht. Der Clan, zu dem wir geladen sind, hat großes Glück gehabt. Wo er wohnt, da hausen noch Höhlenbären. Und seine Jäger haben schon anderen Clans geholfen, die heiligen Tie re zu finden. Bei unserer Höhle gibt es keine mehr; aber einst müssen sie dagewesen sein. Die Gebeine dieses uns durch den Geist Verwandten lagen ja in der Höhle, als wir sie entdeckten", schloß Creb.
"Und was geschieht, wenn dem Clan, der ein Miething aus richten darf, etwas zustößt? Unser Clan lebt ja auch nicht mehr in der gleichen Höhle wie in früheren Tagen", ereiferte sich Ayla. "Wäre es an uns, so wüßten die anderen Clans bestimmt nicht, wo sie uns finden sollten."
Creb schüttelte lächelnd den Kopf.
"Doch, Ayla. Wir würden Läufer zu unserem Nachbar-Clan schicken, dessen Höhle der unseren am nächsten ist. Und von dort würde die Kunde weiter verbreitet werden."
Gerade hatte Brun das Zeichen zum Weitergehen gegeben, und der Clan setzte sich wieder in Bewegung. Als sie zu dem Baum kamen, an dem der Höhlenbär sich am Rücken geschabt hatte, musterte Creb die Rinde mit scharfem Auge und zog ein paar Haarbüschel heraus, die in der schrundigen Borke klemmten. Behutsam wickelte er sie in ein Blatt, das er mit den Zähnen hielt, und steckte das Röllchen in eine Falte seines Überwurfs. Das Haar eines lebenden
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