Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
daß sie wieder da ist.« Woraufhin Ayla sich dem Pferd zuwandte und in leicht tadelndem Ton sagte: »Winnie! Das ist doch nur Baby. Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Und jetzt hört beide damit auf!«
Sie glaubte nicht an irgendeine Gefahr; beide Tiere waren zusammen in der Höhle großgezogen worden; beide gehörten hierher.
Der Geruch in der Höhle war beiden Tieren vertraut, insbesondere der, der von der Frau ausging. Baby kam, Ayla zu begrüßen, und rieb sich an ihr, woraufhin auch Winnie vortrat und sich ihr Teil an Zuwendung holte. Dann stieß das Pferd ein leises Wiehern aus, das weder Angst noch Zorn entsprang, sondern jener Laut war, den die Stute dem ihm anvertrauten Löwenbaby gegenüber ausgestoßen hatte, und der Höhlenlöwe erkannte sein Kindermädchen.
»Ich hab’ dir doch gesagt, daß es bloß Baby ist«, wandte Ayla sich an das Pferd und wurde von Husten überwältigt.
Ayla stocherte im Feuer, um es anzufachen, griff dann nach dem Wasserbeutel und stellte fest, daß er leer war. Sich fest in ihr Schlaffell wickelnd, ging sie hinaus und schob eine Schale voll Schnee zusammen. Sie bemühte sich, die tief in ihrer Brust sitzenden Krämpfe zu bezwingen, solange sie darauf wartete, daß das Wasser kochte. Mit Hilfe eines Aufgusses aus Alantwurzeln und Rinde der Wildkirsche ließ sich der Husten beschwichtigen, und sie kehrte auf ihre Lagerstatt zurück. Baby hatte es sich in seiner Nische hinten gemütlich gemacht, während Winnie es sich an ihrem alten Platz gut sein ließ.
Ayla war von einer so starken natürlichen Vitalität erfüllt und dermaßen abgehärtet, daß sie ihre Krankheit überwand, jedoch eine ziemlich lange Zeit brauchte, um sich wieder zu erholen. Sie war außer sich vor Freude, ihre Tierfamilie wieder um sich zu haben – dabei war es nicht mehr ganz so wie früher. Beide Tiere hatten sich verändert. Winnie war hochträchtig und hatte in einer Herde gelebt, welche sehr wohl um die Gefahren von Raubtieren wußte. Sie gab sich dem Löwen gegenüber, mit dem sie früher gespielt hatte, jetzt wesentlich zurückhaltender, und Baby war ja auch kein wuscheliges kleines Baby mehr. Bald, nachdem der Schneesturm sich gelegt hatte, verließ er die Höhle wieder, und je weiter der Winter fortschritt, desto seltener ließ er sich blicken.
Sobald Ayla sich übermäßig anstrengte, kam es neuerlich zu Hustenanfällen. Das dauerte weit bis in die zweite Winterhälfte hinein. In dieser Zeit verzärtelte Ayla sich und verwöhnte auch das Pferd, das das von ihr gesammelte und geworfelte Korn fraß und die Höhle nur zu kurzen Ausritten verließ. Doch als sie eines kalten und klaren Morgens voller Energie aufwachte, fand sie, daß ihnen beiden ein bißchen Bewegung nicht schaden könnte.
Sie schnallte dem Pferd die Tragkörbe um und nahm Speere sowie die Schäfte für das Zuggestell mit, Notproviant, zusätzliche Wasserschläuche und Kleidung, Kiepe und Zelt – kurz: alles, was ihr für jeden erdenklichen Notfall einfiel. Sie wollte nicht noch einmal überrascht werden. Einmal war sie sorglos gewesen, und dieses eine Mal hätte sie fast das Leben gekostet. Ehe sie aufsaß, legte sie Winnie noch ein weiches Stück Leder auf den Rücken, eine Neuerung, die sie nach der Rückkehr des Pferdes eingeführt hatte. Es war solange her, daß sie geritten war, daß ihre Schenkel ganz wund wurden und aufsprangen; da half das Stück Leder.
Ayla genoß das Gefühl, wieder im Freien zu sein, und der fehlende Husten erfüllte sie mit Wohlbehagen. Infolgedessen ließ sie das Pferd selbst seine Gangart wählen und träumte vom Ende des Winters. Plötzlich spürte sie, wie Winnies Muskeln sich anspannten. Augenblicklich war sie hellwach. Etwas kam auf sie zu, etwas, das sich mit der Verstohlenheit einer Raubkatze bewegte. Winnie war jetzt verwundbarer als früher – es näherte sich die Zeit, da sie ein Fohlen zur Welt bringen sollte. Ayla griff nach ihrem Speer, obwohl sie noch nie zuvor versucht hatte, einen Höhlenlöwen zu töten.
Als das Tier näherkam, erkannte sie die rote Mähne und die vertraute Narbe auf der Nase des Löwen, ließ sich vom Pferd heruntergleiten und lief auf die riesige Raubkatze zu.
»Baby! Wo hast du gesteckt? Weißt du nicht, daß ich mir Sorgen mache, wenn du zu lange wegbleibst?«
Der Löwe schien nicht minder aufgeregt als sie und begrüßte sie, indem er sich liebevoll an ihr rieb, so daß sie fast gestrauchelt wäre. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und kraulte
Weitere Kostenlose Bücher