Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
trockene Gras auf den Boden und riß Büschel davon in die Luft. Die Temperatur sackte ganz schnell ab. Sie roch den Schnee auf dem Rückweg geradezu, doch war sie noch weit von ihrer Höhle entfernt. Sie blickte um sich, orientierte sich und begann zu laufen. Es würde ein Wettlauf mit dem Sturm werden, aber vielleicht schaffte sie es noch bis zur Höhle, ehe er losbrach.
Sie hatte keine Chance. Sie war über einen halben Tagesmarsch vom Tal entfernt, und der Winter hatte zu lange warten müssen. Als sie den ausgetrockneten Fluß erreichte, taumelten nasse Schneeflocken hernieder. Als der Wind wieder zunahm, wurden sie zu nadelfeinen Eisspitzen und verwandelten sich in die trockeneren Flocken eines ausgewachsenen Schneesturms. Schneewehen bauten sich aus einer soliden Masse nassen Schnees auf. Wirbelwinde, die noch mit den Gegenwinden sich umschichtender Luftströmungen kämpften, warfen sie erst in die eine und dann in die andere Richtung.
Sie wußte, ihre einzige Hoffnung bestand darin weiterzugehen; allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie immer noch in die richtige Richtung ging. Ihre Anhaltspunkte waren wie fortgewischt. Sie blieb stehen, versuchte, sich zu orientieren und der in ihr aufsteigenden Panik Herr zu werden. Wie dumm, ohne ihren Pelz fortzugehen! Sie hätte ihr Zelt in der Kiepe mitnehmen sollen! Dann hätte sie jetzt jedenfalls Schutz. Die Ohren froren ihr. In den Füßen hatte sie kein Gefühl mehr, und sie klapperte mit den Zähnen. Sie fror. Sie hörte den Wind pfeifen.
Wieder strengte sie ihr Gehör an. Das war doch nicht der Wind, oder? Sie legte die Hände trichterförmig um den Mund und pfiff so laut sie konnte – und horchte.
Das erregt-hohe Gewieher eines Pferdes kam näher. Nochmals pfiff sie, und dann tauchten geistergleich die Umrisse eines Pferdes aus dem Sturm auf. Ayla lief darauf zu, und die Tränen gefroren ihr auf dem Gesicht.
»Winnie, Winnie, ach Winnie!« immer und immer wieder rief sie den Namen des Pferdes aus, schlang ihm die Arme um den kräftigen Hals und barg das Gesicht in dem struppigen Winterfell. Dann kletterte sie dem Pferd auf den Rücken, und beugte sich tief über seinen Hals, um möglichst viel Wärme von ihm abzubekommen.
Das Pferd folgte seinem Instinkt und strebte der Höhle zu. Es war auf dem Weg dorthin gewesen. Der unerwartete Tod des Hengstes hatte die Herde auseinandergerissen. Zwar hielt die Leitstute sie zusammen; sie wußte, daß sich früher oder später ein anderer Hengst finden würde. Und sie hätte auch die falbfarbene Stute zurückgehalten – wäre da nicht der vertraute Pfiff gewesen und die Erinnerungen an die Frau und die Sicherheit. Auf eine Stute, die nicht in der Herde aufgewachsen war, besaß die Leitstute weniger Einfluß. Als der Sturm losbrach, erinnerte Winnie sich an eine Höhle, in der sich Schutz vor heulenden Winden und blendendem Schnee finden ließ – und die Liebe eines anderen Wesens.
Als sie endlich die Höhle erreichten, zitterte Ayla dermaßen, daß sie es kaum fertigbrachte, ein Feuer zu entzünden. Als sie es schließlich doch schaffte, ließ sie sich nicht in der Nähe des Feuers nieder, sondern raffte ihre Felle zusammen und brachte sie auf Winnies Seite der Höhle hinüber und rollte sich in der Nähe des warmen Pferdes zusammen.
Doch die nächsten paar Tage hindurch konnte sie die Rückkehr ihres Freundes kaum richtig würdigen. Sie wachte mit Fieber und einem harten, schmerzenden Husten auf. Wann immer sie sich dazu aufraffen konnte, erhob sie sich und machte sich Heilkräutertees. Winnie hatte ihr zwar das Leben gerettet, konnte ihr jedoch nicht helfen, über die Lungenentzündung hinwegzukommen.
Die meiste Zeit über war sie schwach und phantasierte, doch als Baby wieder in die Höhle zurückkehrte, wurde sie aus diesem Zustand herausgerissen. Der Löwe war von der Steppe oben heruntergesprungen, sah sich jedoch von Winnies weithin hallendem herausfordernden Gewieher zurückgehalten. Der durchdringende Schrei des Pferdes – ebensosehr auf Angst wie auf Abwehr beruhend – drang durch Aylas Benommenheit und Erstarrung hindurch. Sie sah, wie das Pferd zornig die Ohren anlegte, angstvoll vorstürmte und nervös tänzelte und der Höhlenlöwe die Zähne fletschte, tief aus seinem Inneren ein Grollen aufsteigen ließ und zum Sprung ansetzte. Sie fuhr von ihrem Lager hoch und drängte sich zwischen Raubkatze und Beutetier.
»Aufhören, Baby! Du jagst Winnie doch Angst ein! Dabei solltest du froh sein,
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