Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Mit atemloser Erregung folgte Ayla ihnen; selbst die unbewegte Luft schien erwartungsvoll den Atem anzuhalten. Wie lange war es nun schon her – ob Winnie sich ihrer wohl erinnerte? Allein zu wissen, daß sie lebte, würde ihr, Ayla, schon genügen.
Die Herde war weiter weg als sie angenommen hatte. Irgend etwas hatte sie veranlaßt dahinzustürmen, im Galopp über die Ebene zu fegen. Sie hörte Knurren und Erregung, ehe sie auf das fressende Wolfsrudel stieß, und sie hätte zurückweichen sollen. Aber sie mußte näher herangehen und sich vergewissern, daß es sich bei dem gestürzten Tier nicht um Winnie handelte. Der Anblick eines tiefbraunen Fells beruhigte sie. Allerdings hatte dies die gleiche ungewöhnliche Farbe wie der Hengst, und so war sie überzeugt, es mit einem Pferd eben dieser Herde zu tun zu haben.
Als sie der Fährte weiter folgte, dachte sie über die Pferde in freier Wildbahn nach und wie leicht es sei, sie anzugreifen. Winnie war zwar jung und kräftig, doch war alles möglich. Ayla wollte die junge Stute wieder mit in ihre Höhle nehmen.
Es war fast Mittag, als sie die Herde endlich sichtete. Die Pferde waren von der Hetzjagd immer noch nervös, und Ayla kam mit dem Wind. Sobald sie ihre Witterung aufnahmen, zogen sie weiter. Die junge Frau mußte einen weiten Bogen um sie schlagen, um sich ihnen unter dem Wind zu nähern. Sobald sie nahe genug heran war, um einzelne Pferde unterscheiden zu können, sichtete sie Winnie, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf. Sie schluckte ein paarmal und bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten, die ihr kamen.
Sie sieht gesund aus, dachte Ayla. Fett. Nein, fett nicht. Sie muß wohl trächtig sein. Ach, Winnie, wie wunderbar! Ayla war so entzückt, daß sie kaum an sich halten konnte. Dann konnte sie es nicht mehr ausholten; sie mußte sehen, ob das Pferd sich an sie erinnerte. Sie pfiff.
Winnie hob augenblicklich den Kopf und blickte in Aylas Richtung. Wieder stieß Ayla einen Pfiff aus. Das Pferd setzte sich in Bewegung und kam auf sie zu. Ayla konnte nicht warten und lief dem falbfarbenen Pferd entgegen. Plötzlich schob sich eine beigefarbene Stute zwischen sie, stupste Winnie in die Flanken und trieb sie davon. Dann trieb das weibliche Leittier den Rest der Herde zusammen und führte sie von der unbekannten und möglicherweise gefährlichen Frau fort.
Ayla brach das Herz. Sie konnte unmöglich hinter der Herde herlaufen, Sie war schon weiter vom Tal entfernt, als sie vorgehabt hatte, und sie waren auch soviel schneller als sie. Wenn sie sich beeilte, kam sie vielleicht gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit heim. Noch einmal stieß sie ihren Pfiff aus, laut und lange, aber sie wußte, daß es zu spät war. Ihr sank das Herz, und sie wandte sich ab, zog ihren Lederüberwurf enger um die Schultern und stemmte sich mit dem Kopf in den kalten Wind.
Sie war dermaßen niedergeschlagen, daß sie auf nichts weiter achtgab als auf ihren Kummer und ihre Enttäuschung. Ein warnendes Knurren ließ sie unvermittelt stehenbleiben. Sie war wieder auf das Wolfsrudel gestoßen, das – die Schnauze tief im Blut – sich den Bauch mit dem fuchsroten Pferd vollschlugen.
Ich sollte aufpassen, wo ich hingehe, dachte sie und zog sich zurück. Das war meine Schuld. Wäre ich nicht so ungeduldig gewesen, hätte die Stute die Herde vielleicht nicht von mir weggetrieben. Nochmals warf sie einen Blick auf das gestürzte Tier. Was für eine leuchtende Farbe für ein Pferd. Sieht genauso braun aus wie der Hengst von Winnies Herde. Sie sah genauer hin. Etwas am Kopf, an der Färbung des Fells … die Bestätigung ließ sie durch und durch erschauern. Es war der Fuchshengst! Wie konnte ein Hengst in der Blüte seiner Jahre Wölfen zum Opfer fallen?
Der linke Vorderlauf des Pferdes war unnatürlich abgeknickt und gab ihr die Antwort auf ihre Frage. Selbst ein kraftvoller junger Hengst kann sich beim Laufen über tückischen Boden ein Bein brechen. Ein tiefer Riß in der trockenen Erde hatte den Wölfen ein Festmahl beschert. Was für ein Jammer, dachte Ayla. Im Regelfall hätte er viele gute Jahre vor sich gehabt. Als sie sich von den Wölfen abwandte, wurde ihr endlich klar, in welcher Gefahr sie selbst sich befand.
Der Himmel, heute morgen so klar, war von heftig sich durcheinanderschiebenden, bedrohlich grauen Wolken bedeckt. Der hohe Luftdruck, der den Winter ferngehalten hatte, war endlich gewichen, und die wartende Kaltfront kam herangefegt. Der Wind drückte das
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