Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
willst du wissen, daß ich so vollkommen bin? Große Doni, Thonolan – ich wollte sie doch lieben.«
»Das weiß ich doch. Etwas habe ich von Jetamio gelernt, und ich möchte, daß auch du das weißt. Wenn du jemand lieben willst, darfst du mit nichts zurückhalten. Du mußt dich ganz öffnen und das Risiko eingehen, alles zu verlieren. Du wirst gelegentlich gekränkt werden, aber wenn du das nicht riskierst, wirst du nie glücklich sein. Diejenige, die du findest, erweist sich vielleicht gar nicht als die Art Frau, in die du meintest, dich zu verlieben, aber das spielt keine Rolle. Du wirst sie als das lieben, was sie ist.«
»Ich hatte mich schon gefragt, wo ihr nur abgeblieben seid«, sagte Brecie und näherte sich den beiden Brüdern. »Da ihr nun mal darauf besteht fortzugehen, habe ich eine kleine Abschiedsfeier für euch vorbereitet.«
»Ich stehe in eurer Schuld, Brecie«, sagte Jondalar. »Ihr habt euch meiner angenommen und uns alles gegeben. Ich halte es nicht für richtig, euch wieder zu verlassen, ohne zumindest einen Teil vergolten zu haben.«
»Dein Bruder hat mehr als genug getan. Er ist, seitdem du auf dem Weg der Genesung warst, jeden Tag auf die Jagd gegangen. Er geht für mein Gefühl ein wenig zu tollkühn vor, aber er hat Glück als Jäger. Ihr schuldet uns nichts, wenn ihr weiterzieht.«
Jondalar sah seinen Bruder an. Thonolan lächelte nur.
19
Der Frühling im Tal war ein lodernder Farbenrausch, in dem vor allem junges Grün vorherrschte, doch war ein früherer Wintereinbruch erschreckend gewesen und hatte Aylas Begeisterung für die neue Jahreszeit einen empfindlichen Dämpfer aufgesetzt. Nachdem er spät eingesetzt hatte, war er dann mit mehr Schnee als gewöhnlich gekommen und hatte ihr das Leben schwer gemacht. Die alljährliche Frühjahrsüberflutung hatte das Schmelzwasser mit nie gekannter Heftigkeit fortgerissen.
Das Wasser war durch die schmale Schlucht weiter stromaufwärts hindurchgerauscht und hatte sich mit einer solchen Gewalt gegen die vorspringende Felswand geworfen, daß die ganze Höhle gebebt hatte. Vor allem Winnies wegen machte Ayla sich Sorgen. Sie selbst konnte notfalls zur Steppe hinaufklettern, doch für ein Pferd war der Anstieg zu steil, zumal für ein hochträchtiges Tier. Die junge Frau verbrachte ein paar sorgenvolle Tage, in denen sie den brodelnden Strom höher und höher steigen und gegen ihre Wand donnern, zurückschießen und dann um die Wand herumrauschen sah. Flußabwärts stand das ganze Tal unter Wasser, und von den Sträuchern und Bäumen, die den Flußlauf sonst säumten, war nichts mehr zu sehen.
Als die Schmelzwasserflut am schlimmsten wütete, fuhr Ayla einmal mitten in der Nacht von ihrem Lager hoch; ein gedämpfter Knall, wie ein Donnerschlag, war von unten an ihr Ohr gedrungen und hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Sie war wie gelähmt. Erst als der Wasserspiegel sank, sollte sie erfahren, was geschehen war. Der Zusammenprall eines riesigen Felsbrockens mit ihrer Wand hatte Schallwellen durch den Felsen hindurchgehen lassen, in dem ihre Höhle lag. Ein Stück von der Felsbarriere war unter der Wucht des Zusammenpralls abgebrochen, und jetzt lag ein großer Abschnitt der Wand quer über den Fluß.
Gezwungen, sich um dieses Hindernis herum einen neuen Weg zu suchen, hatte der Fluß seinen Lauf verändert. Die Bresche in der Felswand bildete eine willkommene Abkürzung, machte aber den steinigen Uferstreifen noch schmaler. Ein großer Teil der Knochen, des Treibholzes und des Gerölls, der sich dort unten angesammelt hatte, war fortgeschwemmt worden. Der Felsbrocken selbst, der aus dem gleichen Gestein zu bestehen schien wie die Felsen der Schlucht weiter oben, war nicht weit von der Wand zur Ruhe gekommen.
Doch wenn es auch zu einer Neuverteilung von Gestein und zur Entwurzelung von Bäumen und Sträuchern gekommen war – gewichen war letztlich nur, was ohnehin schwach gewesen war. Die meisten mehrjährigen Pflanzen wuchsen wieder aus Wurzelwerk hervor, das sich tief eingegraben hatte, und neues Sprießen füllte jede leere Nische. Eine Pflanzendecke wuchs sehr rasch über die frischen Narben von Felsgestein und Erdreich und vermittelte den Eindruck, als würde beides ewig bleiben. Bald wirkte die Landschaft, die vor kurzem derartige Veränderungen durchgemacht hatte, so als wäre sie nie anders gewesen.
Ayla paßte sich den Veränderungen an. Sie fand für jeden Stein und jedes Stück Treibholz, für welches sie eine besondere Verwendung
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