Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Rippen eindringen konnte. Er traf sein Ziel; die Hirschkuh brach nahezu vor ihren Füßen zusammen.
Doch ehe sie ihre Beute holen konnten, entdeckten sie, warum der Bock so unruhig gewesen und die Kuh ihnen in den Speer gelaufen war. Es durchfuhr sie wie ein Schlag, als sie sahen, wie eine Höhlenlöwin auf sie zugetrabt kam. Die Raubkatze schien verwirrt, wieso die Hirschkuh zusammengebrochen war. Schließlich war sie es nicht gewohnt, daß ihre Beute zu Boden ging, ehe sie selbst angegriffen hatte. Doch sie zögerte nicht lange. Ihr Beutetier beschnuppernd, um sicherzugehen, daß es auch wirklich tot sei, packte die Löwin sie mit ihrem Fang gut am Hals, stellte sich dann über sie und schickte sich an, sie fortzuschleifen.
Thonolan war empört. »Diese Löwin hat uns unsere Beute gestohlen.«
»Diese Löwin hat die Hirschkuh angeschlichen, und jetzt meint sie, sie sei ihre Beute. Ich möchte nicht mit ihr darüber streiten.«
»Ich aber wohl.«
»Mach dich nicht lächerlich«, schnob Jondalar. »Du wirst doch einer Höhlenlöwin nicht einen Hirsch streitigmachen wollen.«
»Ich gebe aber nicht auf, ehe ich nicht zumindest einen Versuch gemacht habe.«
»Laß sie ihr doch, Thonolan. Wir finden schon einen anderen Hirsch«, sagte Jondalar und ging seinem Bruder nach, der sich aufgemacht hatte, der Löwin zu folgen.
»Ich möchte bloß sehen, wohin sie sie bringt. Ich glaube nicht, daß sie zu einem Rudel gehört – sonst wären die anderen längst hier und rissen sich um die Beute. Ich halte sie für eine Einzelgängerin, die die Hirschkuh jetzt fortschleppt, um sie vor anderen Löwen zu verbergen. Früher oder später wird sie sie alleinlassen, und dann können wir uns frisches Fleisch für uns selbst holen.«
»Ich will kein Fleisch vom Beutetier eines Höhlenlöwen.«
»Er hat sie aber nicht gerissen. Die Hirschkuh gehört mir. Es steckt sogar noch mein Speer in ihr.«
Es hatte keinen Sinn zu streiten. Sie folgten der Löwin bis zu einer Schlucht, die keinen anderen Ausgang hatte und deren Boden mit Felsbrocken übersät war. Mit offenen Augen warteten sie, und wie Thonolan vorausgesagt hatte, kam die Löwin nach kurzer Zeit wieder heraus. Thonolan wollte in die Schlucht hinuntersteigen.
»Thonolan, steig nicht hinunter. Du weißt nicht, wann die Löwin zurückkommt.«
»Ich will mir bloß meinen Speer holen und vielleicht ein bißchen von dem Fleisch.« Thonolan stieg über den Rand hinweg und rutschte über das Geröll tiefer hinein in die Schlucht. Zögernd folgte Jondalar ihm.
Ayla kannte das Gebiet östlich des Tals mittlerweile so gut, daß es sie langweilte – und das besonders, wo sie nicht jagte. Es war seit Tagen grau und regnerisch, und als die warme Sonne die Morgenwolken aufgesaugt hatte, als sie soweit war auszureiten, konnte sie den Gedanken, wieder in dasselbe Gelände hinauszureiten, nicht ertragen.
Nachdem sie die Tragekörbe und die Stangen für das Zuggestell festgezurrt hatte, führte sie ihr Pferd den steilen Pfad hinunter und um die nunmehr kürzer gewordene Wand herum. Sie beschloß, nicht auf die Steppe hinauszureiten, sondern lieber das lange Tal hinunter. Am Ende, dort wo der Fluß nach Süden abbog, bemerkte sie den steilen, kiesbestreuten Hang, den sie schon einmal hinaufgestiegen war, um von dort aus nach Westen zu blicken, meinte jedoch, der Kies bildete einen zu unsicheren Untergrund für Winnie. Das jedoch ermunterte sie, einfach weiterzureiten und zu sehen, ob sie nicht einen leichter zugänglichen Ausgang nach Westen fände. Während sie also weiter gen Süden ritt, sah sie sich neugierig um. Dies Gelände war neu für sie, und sie überlegte, warum sie eigentlich nicht früher schon hier gewesen sei. Die Wand des Tals flachte sich ab und ging in einen sanften Abhang über. Als sie eine seichte Stelle im Fluß entdeckte, auf der leicht hinüberzukommen war, wendete sie Winnie und trieb sie an, das andere Ufer zu erreichen.
Bei der Landschaft handelte es sich um dieselbe Art von offenem Grasland. Nur die Einzelheiten waren anders, doch gerade das machte die Sache ja interessant. Sie ritt weiter, bis sie sich in einem etwas rauheren Gelände befand, in dem es zerrissene Schluchten und glatte Tafelformationen gab. Sie war weiter von der Höhle fort, als sie vorgehabt hatte, und als sie sich einer Schlucht näherte, dachte sie, eigentlich wäre es an der Zeit umzukehren. Dann hörte sie etwas, was ihr das Blut in den Adern gefrieren und ihr Herz fliegen ließ: das Donnergebrüll
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