Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
die Vorstellung der Clans-Erinnerungen nachzuvollziehen.
»Manche Leute meinten, ich könnte ohne Izas Erinnerungen keine Medizinfrau werden, aber Iza hat gesagt, ich wäre durchaus gut genug, auch wenn ich mich nicht so gut erinnern könnte. Sie sagte, ich besäße andere Gaben, die sie nicht begriff, etwa die Fähigkeit zu erkennen, was los sei, und die beste Behandlungsmethode zu finden. Sie brachte mir bei, wie man neue Heilkräuter ausprobiert, damit ich Mittel und Wege für ihre Anwendung fände, ohne ein direktes Pflanzenerinnerungsvermögen zu haben. Auch haben sie eine alte Sprache. Darin gibt es keine Laute, nur Gebärden. Jeder kann die Alte Sprache, sie benutzen sie bei Zeremonien und zur Anrufung von Geistern und auch, wenn sie die gewöhnliche Sprache eines anderen nicht verstehen. Auch die habe ich gelernt.
Weil ich alles lernen mußte, habe ich mir angewöhnt, immer genau aufzupassen und mich zu konzentrieren, um mich hinterher zu erinnern, ohne daß ein anderer mich erinnern mußte und die Leute nicht die Geduld mit mir verloren.«
»Verstehe ich dich recht? Die Clansangehörigen verstehen alle ihre eigene Sprache und darüber hinaus noch eine Art alter Sprache, die allgemein verstanden wird? Jeder kann sich mit jedem anderen unterhalten – das heißt: sich verständlich machen und ihn verstehen?«
»Auf dem Clans-Treffen konnten das jedenfalls alle.«
»Reden wir über die selben Leute? Über Flachschädel?«
»Wenn du den Clan so nennst? Ich habe dir ja gesagt, wie sie aussehen«, erklärte Ayla und senkte den Blick dann zu Boden. »Und da hast du gesagt, ich sei monströs.«
Sie erinnerte sich sehr wohl an den eisigen Blick, der seinen Augen alle Wärme entzog, die zuvor darin gewesen war, hatte das Erschaudern nicht vergessen, mit dem er sich losgerissen hatte, die Verachtung. Das war gerade in dem Augenblick geschehen, da sie ihm vom Clan erzählt und sie geglaubt hatte, sie verständen sich besonders gut. Es schien ihm schwerzufallen, das, was sie gesagt hatte, zu akzeptieren. Plötzlich beschlich sie Unbehagen; sie hatte allzu zuversichtlich gesprochen. Rasch ging sie zum Feuer hinüber, sah die Moorhühner, die Jondalar neben den Eiern hingelegt hatte, und fing an, sie zu rupfen, bloß um etwas zu tun.
Jondalar hatte beobachtet, wie ihr Argwohn gewachsen war. Er hatte sie zu sehr gekränkt und würde ihr Vertrauen nie zurückgewinnen, obwohl er das eine Zeitlang gehofft hatte. Die Verachtung, die ihn jetzt befiel, galt ihm selbst. Er raffte ihre Felle zusammen und trug sie zurück zu ihrer Lagerstatt; dort nahm er dann diejenigen, die er selbst benutzt hatte, und trug sie an eine Stelle auf der anderen Seite des Feuers.
Ayla legte die Vögel nieder – ihr war nicht nach Federviehrupfen – und eilte auf ihr Lager. Sie wollte nicht, daß er das Wasser sah, das ihr in die Augen trat.
Jondalar versuchte, die Felle möglichst behaglich um sich auszubreiten. Erinnerungen, hatte sie gesagt. Flachschädel hatten eine besondere Art von Erinnerungsvermögen und geboten über eine Gebärdensprache, die sie alle kannten? War das möglich? Schwer zu glauben – bis auf eines: Ayla sagte niemals die Unwahrheit.
Ayla hatte sich in den letzten Jahren an Stille und Einsamkeit gewöhnt. Wenn sie auch die Gegenwart eines anderen in gewisser Weise genoß, so erforderte sie dennoch eine gewisse Anpassung und ein bestimmtes Maß an Entgegenkommen, doch hatte der Aufruhr und das Wechselbad ihrer Gefühle heute sie völlig erschöpft und ausgepumpt zurückgelassen. Sie wollte einfach nicht mehr fühlen, über etwas nachdenken oder auf etwas reagieren, was der Mann, der ihre Höhle mit ihr teilte, sagte. Sie wollte nur noch ihre Ruhe haben.
Doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Sie war sich ihrer Fähigkeit zu reden so sicher gewesen! Hatte ihr ganzes Bemühen und ihre ganze Konzentration hineingelegt, und jetzt kam sie sich getäuscht vor. Warum hatte er ihr die Sprache beigebracht, mit der er großgeworden war? Er wollte fort. Sie würde ihn nie wiedersehen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als im Frühling fortzuziehen und sich auf die Suche nach Menschen zu begeben, die mehr in ihrer Nähe lebten – und vielleicht einen anderen Mann finden.
Aber sie wollte keinen anderen Mann. Sie wollte Jondalar mit seinen Augen und seiner Art, sie anzurühren. Ihr fiel wieder ein, wie es zu Anfang mit ihm gewesen war. Er war der erste Mann ihrer Leute, den sie je gesehen, und in einer ganz allgemeinen Weise stand er
Weitere Kostenlose Bücher