Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
hätten, würden sie beide tüchtig üben müssen.
Ayla kam zu dem Schluß, daß es am besten sei, ihm die beiden Wurfgerät-Modelle mit den Werkzeugen machen zu lassen, mit denen er so gut umzugehen verstand. Sie wollte derweil mit einem anderen seiner Werkzeuge experimentieren. Sehr weit war sie in der Herstellung der Kleider für ihn nicht gekommen. Sie waren jetzt soviel zusammen, daß die einzige Zeit, die sie fand, um allein zu sein, der frühe Morgen oder die Nacht waren, wenn er schlief.
Während er letzte Hand an seine Erfindung legte und an den Feinheiten arbeitete, trug sie seine alten Kleider und ihr neues Material hinaus auf das Sims. Bei Tageslicht konnte sie sehen, wie die Einzelteile zusammengefügt waren und fand den Vorgang des Zusammenfügens so interessant und die Kleidungsstücke selbst so faszinierend, daß sie beschloß, etwas Ähnliches auch für sich selbst herzustellen. Sie unternahm erst gar nicht den Versuch, die Ziermuster auf dem Hemd, die aus Perlen und Federkielen bestanden, nachzumachen, sah sie sich aber sehr genau an und meinte, so etwas könnte eine verlockende Beschäftigung im kommenden stillen Winter sein.
Von ihrem Arbeitsplatz hoch oben konnte sie Jondalar unten auf dem Uferstreifen und draußen auf freiem Feld sehen und ihre Arbeit verschwinden lassen, ehe er wieder in die Höhle zurückkehrte. Doch an dem Tag, da er heraufgelaufen kam und atemlos und stolz seine beiden fertigen Speerwerfer vorzeigte, hatte Ayla kaum Zeit, das Kleidungsstück, an dem sie gerade arbeitete, zusammenzuknüllen, so daß es aussah wie irgendein unwichtiges Stück Leder. Er war so erfüllt von seiner Leistung, daß er für anderes überhaupt kein Auge hatte.
»Was meinst du, Ayla – ob es funktioniert?«
Sie nahm eines der auf einem ebenso einfachen wie einfallsreichen Prinzip beruhenden Geräte in die Hand. Es handelte sich um eine lange schmale Unterlage, die ungefähr halb so lang war wie der Speer und in der Mitte eine Rille und am Ende einen hakenförmigen Widerstand aufwies. Am vorderen Ende des Speerwerfers waren zu beiden Seiten für die Finger zwei Lederschlaufen angebracht.
Zuerst wurde der Speerwerfer waagerecht gehalten, indem man zwei Finger durch die Schlaufen vorn steckte und Werfer und Speer gleichzeitig festhielt, der ja in der langen Rille lag und mit dem Schaftende gegen den Widerstand stieß. Hielt man den Werfer beim Schleudern am vorderen Ende mit den Schlaufen fest, wurde das hintere Ende hochgedrückt und stellte praktisch eine Verlängerung des Wurfarms dar. Der zusätzliche Schub vergrößerte Geschwindigkeit und Stoßkraft, mit welcher der Speer die Hand verließ.
»Ich glaube, es wird Zeit, daß wir mit dem Üben beginnen, Jondalar.«
Das Üben füllte ihre Tage aus. Das mit Gras ausgestopfte Fell an ihrem Zielbaum war bald so durchlöchert, daß es in Fetzen auseinanderfiel, und so mußten sie ein zweites aufspannen. Diesmal zeichnete Jondalar die Umrisse eines Hirschs darauf. Während sie beide im Schleudern mehr Sicherheit gewannen, ergaben sich kleinere Veränderungen am Wurfgerät von selbst. Beide holten sie für sich am meisten von den Techniken im Umgang mit jenen Waffen heraus, mit denen sie am vertrautesten waren. Seine Überhandwürfe gingen im allgemeinen weiter als die ihren; ihre Würfe, die ein wenig mehr von der Seite kamen, wiesen eine flachere Wurfbahn auf. Infolgedessen benutzte jeder den Werfer auf seine eigene Weise.
Ein freundschaftlicher Wettkampf entspann sich zwischen ihnen. Ayla versuchte es, konnte aber mit Jondalars kraftvollen Würfen, mit denen er eine größere Reichweite erreichte als sie, nicht ganz mithalten; Jondalar wiederum erreichte nie Aylas tödliche Zielgenauigkeit. Beide jedoch waren sie gleichermaßen überrascht von dem ungeheuren Vorteil, den das neue Gerät ihnen verschaffte. Jondalar konnte, nachdem er einige Geschicklichkeit damit erworben hatte, damit doppelt so weit werfen wie früher, und das mit gleicher Durchschlagskraft und Zielgenauigkeit. Für Ayla jedoch war ein anderes Ergebnis der Übungszeiten mit Jondalar wichtiger als der Umgang mit der Waffe selbst.
Sie hatte bisher stets allein geübt und gejagt. Zuerst im Spiel und unter der ständigen Angst, daß man ihr auf die Schliche käme; später dann beim ernsten, gleichwohl jedoch nicht weniger heimlichen Üben. Als man ihr schließlich erlaubte, überhaupt zu jagen, geschah das nur sehr widerwillig. Niemand kam je auf den Gedanken, gemeinsam mit ihr zu
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