Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
bißchen, das hier herumwirbelt, fühlt sich noch nicht mal wie Schnee an, sondern ist nur kalt.«
Sie stapelte das Holz in der Nähe der Feuerstelle und kippte das Eis in die Schale. Diese schob sie in die Nähe des Feuers, damit die vom Feuer ausgestrahlte Wärme anfing, das Eis zu zerschmelzen, ehe sie es in ihren Topf aus Tierhaut steckte, der unbedingt zumindest ein bißchen Wasser enthalten mußte, um nicht zu verbrennen, wenn sie ihn übers Feuer hängte. Danach sah sie sich in ihrer behaglichen Höhle um und faßte die verschiedenen Vorhaben in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung ins Auge, um zu einem Entschluß zu kommen, womit sie sich heute beschäftigen solle. Aber sie war von Unruhe erfüllt. Nichts gefiel ihr, bis sie etliche neue Speere entdeckte, die sie vor kurzem vollendet hatte.
Vielleicht gehe ich auf die Jagd, dachte sie. Ich bin schon eine ganze Zeitlang nicht mehr oben in der Steppe gewesen. Nur, die kann ich nicht mitnehmen. Sie runzelte die Stirn. Sie würden mir nichts nützen, ich würde nie nah genug an ein Wild herankommen, um sie benutzen zu können. Also nehme ich nur meine Schleuder und mache einen Spaziergang. Sie füllte eine Falte ihres Überwurfs mit runden Steinen, von denen sie eine ganze Menge in die Höhle hinaufgebracht und dort auf einen Haufen gelegt hatte – für den Fall, daß die Hyänen sich noch einmal blicken ließen. Dann legte sie Holz nach und verließ die Höhle.
Winnie versuchte ihr zu folgen, als Ayla sich den steilen Hang hinaufarbeitete, der von ihrer Höhle zur Steppe oben hinaufführte, wieherte dann aber nur nervös hinter ihr her. »Keine Angst, Winnie. Ich bleibe nicht lange. Dir wird schon nichts passieren.«
Oben angekommen, fuhr ihr der Wind unter die Kapuze und drohte, sie ihr zu entführen. Ayla zog sie fest um sich und zerrte die Schnur fest.
Dann machte sie einen Schritt vom Abgrund weg und blieb stehen, um sich umzusehen. Die ausgedörrte und versengte sommerliche Landschaft hatte vor Leben pulsiert im Vergleich mit der erstarrten Leere der winterlichen Steppe. Heftige Windstöße ließen immer wieder klagende Töne anschwellen, heulten dann dünn und durchdringend und schwollen zu einem Schmerzensschrei an, um dann in einem hohlen, gedämpften Ächzen zu verklingen. Er blies die fahle Erde von Sand und Humus frei, wirbelte den trockenen, körnigen Schnee aus weißlichen Mulden im Boden heraus und blies die gefrorenen Flocken wieder in die Luft.
Der hochgewirbelte, treibende Schnee fühlte sich wie körniger Sand an, der ihr das Gesicht wundscheuerte, so kalt war er. Ayla zog die Kapuze noch fester um sich, beugte den Kopf und schritt durch bis an den Boden gedrücktes, vertrocknetes Gras in den beißenden Nordostwind hinein. Ihre Nasenlöcher verengten sich, und ihre Kehle schmerzte, als ihr die Feuchtigkeit von der bitterkalten Luft weggerissen wurde. Ein heftiger Windstoß überraschte sie. Sie geriet außer Atem, schluckte nach Luft, hustete und keuchte, spuckte Schleim aus und sah, wie er gefror, noch ehe er auf den felsharten Boden aufprallte und ein wenig wieder in die Höhe hüpfte.
Was mache ich denn hier oben? dachte sie. Ich habe ja nicht geahnt, daß es so kalt sein könnte. Ich kehre um.
Sie drehte sich um, blieb stehen und vergaß für einen Moment die intensive Kälte. Eine kleine Herde wollhaariger Mammuts trottete quer durch die Schlucht: riesige, sich bewegende Buckel, das schüttere Fell von einem dunklen Rotbraun, mit langen gebogenen Stoßzähnen. Dieses öde, allem Augenschein nach unfruchtbare Land war ihr Zuhause; für sie war das kältestarre Gras lebenswichtige Nahrung. Doch indem sie sich an einen so unwirtlichen Lebensraum anpaßten, gingen sie gleichzeitig der Fähigkeit verlustig, in einem anderen zu leben. Ihre Tage waren gezählt; sie blieben nur so lange am Leben, wie die Gletscher das Land bedeckten.
Gebannt folgte Ayla ihnen mit den Augen, bis die schemenhaften Gestalten im wirbelnden Schnee verschwanden. Dann eilte sie weiter und war nur allzu froh, als sie über den Bruchrand hinunterspringen und der Wind ihr nichts mehr anhaben konnte. Genauso, erinnerte sie sich jetzt, war es ihr ergangen, als sie ihre Zufluchtsstätte entdeckt hatte. Was wäre wohl aus ihr geworden, hätte sie dieses Tal nicht gefunden? Als sie das schmale Sims vor ihrer Höhle erreichte, umarmte sie das Füllen; dann trat sie an den Rand heran und ließ den Blick über das Tal schweifen. Hier lag der Schnee um ein weniges
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