Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
sehen nach Schnee aus«, sagte Thonolan, als sein Bruder in Sicht kam und neben seiner Tragbahre herging. »Die Berggipfel sind nicht mehr zu sehen; oben im Norden muß es bereits schneien. Ich muß schon sagen, man sieht die Welt aus dieser Lage heraus mit ganz anderen Augen.«
Jondalar blickte zu den Wolken hinauf, die über die Berge herübergequollen kamen, die eisummantelten Gipfel verhüllten und sich übereinanderwälzten und pufften und stießen, während sie damit beschäftigt waren, den klaren blauen Himmel droben eilends anzufüllen. Jondalars Stirnrunzeln hatte etwas ähnlich Bedrohliches wie der Himmel, und seine Stirn umwölkte sich besorgt, wiewohl er sich bemühte, sich seine Befürchtungen nicht anmerken zu lassen. »Ist das der Vorwand, den du benutzt, um liegen zu bleiben?« sagte er und versuchte zu lächeln.
Als sie den weit in den Fluß hineinreichenden Baumstamm erreichten, blieb Jondalar zurück und beobachtete, wie die beiden Flußmänner, die Tragbahre zwischen sich, das Gleichgewicht auf dem umgestürzten Baumstamm zu halten versuchten und die Tragbahre dann auch noch die noch gefährlichere Brücke zum Boot hinauf zu bewegen. Jetzt begriff er, warum sie Thonolan so festgebunden hatten. Er folgte ihnen und hatte seinerseits Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu halten, woraufhin er die beiden Männer mit noch größerer Bewunderung betrachtete.
Einige wenige weiße Flocken kamen bereits vom grauverhangenen Himmel heruntergegaukelt, als Roshario und der Shamud das festverzurrte Fell- und Stabbündel – das große Zelt – an ein paar Ramudoi übergaben, damit diese sie an Bord trügen; dann balancierten sie selber über den Baumstamm hinüber. Der Fluß, der die Stimmung des Himmels widerspiegelte, schoß aufgewühlt und strudelnd vorüber – die Zunahme der Feuchtigkeit in den Bergen machte sich hier, flußabwärts, bemerkbar.
Der Baumstamm tanzte nach einer anderen Strömung als das Boot, und Jondalar lehnte sich über die Bordwand und streckte der Frau die Hand entgegen. Roshario warf ihm einen dankbaren Blick zu und wurde beim letzten Anlauf geradezu in die Höhe und ins Boot hineingehoben. Der Shamud hatte gleichfalls keinerlei Bedenken, seine Hilfe anzunehmen, und sein dankbarer Blick war genauso aufrichtig wie Rosharios.
Ein Mann war immer noch an Land. Er machte eine der Vertäuungen los, rannte dann über den Baumstamm und kletterte an Bord. Rasch wurde die bewegliche Brücke eingezogen. Das Boot wurde in die Höhe gehoben, versuchte sich vom Land zu lösen und der Strömung anzuvertrauen, wurde daran jedoch von einem Tau und den Paddeln mit den langen Griffen in den Händen der Ruderer gehindert. Mit einem Ruck wurde das Tau fahren gelassen, und das Boot ergriff seine Chance, in die Freiheit zu entkommen. Jondalar klammerte sich an der Bordwand fest, als das Wasserfahrzeug sich ruckend und bockend der Hauptströmung der Schwester anvertraute.
Der Sturm nahm rasch an Stärke zu, und die wirbelnden Flocken verminderten die Sicht. Treibholz und Abfälle schwammen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit neben ihnen her. Schwere Baumstämme, die sich mit Wasser vollgesogen hatten, ineinander verschlungenes Strauchwerk, aufgetriebene Tierkadaver und gelegentlich ein kleiner Eisberg ließen Jondalar einen Zusammenstoß fürchten. Er beobachtete, wie das Ufer vorüberflog; seine Augen hefteten sich auf das Erlengehölz auf der Hügelkuppe. Irgend etwas, was an einem der Bäume festsaß, flatterte im Wind. Ein plötzlicher Windstoß riß es los und trieb es hinunter zum Fluß. Als es herniederfiel, erkannte Jondalar plötzlich, daß es sich bei dem steifen, dunkelgefleckten Leder um seinen Sommerüberwurf handelte. Hatte der die ganze Zeit über dort geflattert? Einen Moment trieb er neben ihnen her, bis er sich mit Wasser vollsog und unterging.
Thonolan war von der Tragbahre losgebunden worden und lehnte gegen die Bordwand. Er sah blaß aus, schien Schmerzen zu haben und sich zu fürchten, lächelte jedoch tapfer der neben ihm sitzenden Jetamio zu. Jondalar ließ sich neben ihnen nieder und runzelte die Stirn bei dem Gedanken daran, wie sehr er sich gefürchtet hatte, und daß er beinahe in Panik geraten war. Dann erinnerte er sich an die fassungslose Freude, als er das Boot hatte näherkommen sehen, und wieder fragte er sich, woher sie gewußt haben mochten, daß er da war. Ein Gedanke durchfuhr ihn: Konnte es der im Wind flatternde blutige Überwurf sein, der ihnen verraten hatte, wo
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