Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
erst um Erlaubnis bitten, dachte sie, ging dann jedoch in ihrem Spiel noch weiter, setzte sich vor den Schneehaufen und blickte zu Boden – die richtige Haltung einer Frau des Clans, wenn sie darum bat, von einem Mann gehört zu werden.
Innerlich über ihre Schauspielerei lächelnd, saß Ayla gebeugten Hauptes da, als erwartete sie wirklich, daß der Angesprochene ihr auf die Schulter klopfte und damit zu verstehen gab, daß sie sprechen dürfe. Das Schweigen wurde immer lastender, und auf dem Felssims war es kalt und hart. Sie dachte, wie lächerlich es doch war, hier zu sitzen. Bruns Abbild aus Schnee würde ihr nicht auf die Schulter klopfen – genauso, wie Brun selbst es nicht getan hatte, als sie sich das letztemal vor ihn hingesetzt hatte. Sie war, wenn auch zu unrecht, verflucht worden, und sie hatte den alten Anführer darum bitten wollen, ihren Sohn vor Brouds Zorn zu beschützen. Doch Brun hatte sich von ihr abgewandt; es war zu spät gewesen – sie war bereits tot. Plötzlich verging ihr die Lust zu spielen. Sie erhob sich und starrte Bruns Abbild aus Schnee an.
»Du bist nicht Brun!« gab sie ihm erbost zu verstehen und schlug gerade jenen Teil ab, den sie so sorgsam hinzugefügt hatte. Wut stieg in ihr auf.
»Du bist nicht Brun! Du bist nicht Brun!« Mit Händen und Füßen bearbeitete sie den Schneehaufen und löschte alles aus, was einem Gesicht hätte ähnlich sehen können. »Ich werde Brun nie wiedersehen. Ich werde Durc nie wiedersehen. Ich werde überhaupt nie jemand wiedersehen! Ich bin vollkommen allein.« Ein bitterer Klagelaut entrang sich ihren Lippen, und sie schluchzte verzweifelt auf. »Ach, warum bin ich nur so allein!«
Sie sank auf die Knie, streckte sich im Schnee aus und spürte, wie die warmen Tränen auf ihrem Gesicht kalt wurden. Sie hieß die eisige Feuchtigkeit willkommen, gab sich ihr ganz hin, begrüßte die Benommenheit, die sie ihr brachte. Sie wollte ganz darin versinken, sich davon einhüllen und den Schmerz ausfrieren lassen, die Empörung und die Einsamkeit. Als sie anfing zu zittern, schloß sie die Augen und versuchte, die Kälte, die allmählich in ihr hochkroch, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Dann spürte sie etwas Warmes und Feuchtes an ihrem Gesicht und hörte das leise Schnauben eines Pferdes. Sie versuchte, auch Winnie einfach nicht zu beachten. Wieder stupste das junge Tier sie an. Ayla machte die Augen auf und blickte in die großen dunklen Augen und auf die lange Nase des Steppenpferdes. Sie streckte die Arme aus, legte sie dem Fohlen um den Hals und barg das Gesicht in seinem zottigen Fell. Als sie losließ, wieherte das Pferd leise.
»Du möchtest, daß ich aufstehe, nicht wahr, Winnie?« Das Pferd hob und senkte den Kopf, als hätte es verstanden, was Ayla gern glauben wollte. Ihr Überlebensinstinkt war immer sehr ausgeprägt gewesen; es bedurfte schon mehr als nur der Einsamkeit, sie zum Aufgeben zu bringen. Obwohl sie in Bruns Clan aufgewachsen war und auch Zuneigung erfahren hatte, war sie in vieler Hinsicht ihr Leben lang allein gewesen. Sie war immer anders, ihre Liebe zu anderen immer die bestimmende Kraft in ihr gewesen. Daß andere sie gebraucht hatten – Iza, als sie krank gewesen war, Creb, als er alt geworden war –, hatte ihrem Leben Ziel und Sinn gegeben.
»Du hast recht, ich sollte aufstehen. Ich kann dich nicht allein lassen, Winnie, und hier draußen werde ich nur kalt und naß. Ich werde etwas Trockenes überziehen. Und dann werde ich dir einen schönen warmen Brei kochen. Das würde dir gefallen, nicht wahr?«
Ayla beobachtete, wie die beiden Polarfuchsrüden knurrten und nach einander schnappten, und roch den durchdringenden Fuchsgeruch, wie er typisch ist für Rüden in der Ranz, hatte ihn sogar hier oben auf ihrem Sims in der Nase. Im Winter sind sie hübscher als im Sommer, wo sie einfach langweilig braun sind. Wenn ich ein weißes Fell möchte, sollte ich sie jetzt jagen, dachte sie, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben und ihre Schleuder zu holen. Einer der Rüden war Sieger geblieben und bestand jetzt auf der Belohnung. Als der Rüde sie bestieg, verkündete die Fähe mit rauhem Schrei, daß sie bereit sei.
Diesen Schrei stößt sie nur dann aus, wenn sie sich paaren. Ich möchte mal wissen, ob sie es mag oder nicht? Ich habe es nie gemocht, selbst nachdem es nicht mehr wehtat. Die anderen Frauen aber wohl. Warum bin ich da so anders gewesen? Bloß weil ich Broud nicht mochte? Was sollte das schon ausmachen?
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