Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
bedeutete, daß Ayla in Ihrer Schuld
stand?
Ayla war sich nicht sicher, ob diese neue Gabe ihr sehr gefiel.
»Ich kenne Die Mutter nicht, und auch Ihre Gaben nicht. Ich
denke, der Höhlenlöwe, mein Totem, hat mir Winnie
geschickt.«
Mamut verriet Betroffenheit. »Der Höhlenlöwe ist dein
Totem?«
Ayla entging sein Gesichtsausdruck nicht, und sie erinnerte
sich, wie schwierig es für den Clan gewesen war zu glauben, daß
eine Frau ein so mächtiges männliches Totem haben könne, das
sie beschützte. »Ja. Der Mog-ur hat es mir gesagt. Der
Höhlenlöwe hat mich erwählt und mich gezeichnet. Ich zeige es
dir«, erklärte Ayla. Sie nestelte den Leibriemen los, der ihr
Beinkleid festhielt, und zog das Seitenteil weit genug herunter,
damit ihr linker Schenkel bloß lag und die vier von den
schwarzen Krallen gerissenen, parallel verlaufenden Narben zu
sehen waren – der Beweis für ihre Begegnung mit dem
Höhlenlöwen.
Die Zeichen waren, wie Mamut bemerkte, alt und längst
zugeheilt. Sie muß blutjung gewesen sein. Wie hatte ein junges
Mädchen einem Höhlenlöwen entrinnen können? »Wie bist du
zu diesen Zeichen gekommen?« fragte er.
»Ich erinnere mich nicht … habe nur einen Traum.« Plötzlich war Mamuts Interesse hellwach. »Einen Traum?«
ermunterte er sie.
»Einen, der manchmal wiederkehrt. Ich bin an dunklem Ort,
wo es sehr eng ist. Licht dringt durch einen schmalen Spalt.
Dann« – sie schloß die Augen und schluckte – »schiebt sich
etwas vor das Licht, und ich bekomme es mit der Angst. Dann
dringt große Löwentatze ein, mit scharfen Krallen. Ich schreie
und wache auf.«
»Ich habe kürzlich von Höhlenlöwen geträumt«, sagte
Mamut. »Deshalb interessiere ich mich so besonders für deinen
Traum. Mir träumte, ein Rudel Höhlenlöwen sonnte sich
draußen an einem heißen Sommertag auf der Steppe. Sie haben
zwei Junge. Eines von ihnen – eine junge Löwin – versucht, mit
dem alten Löwen zu spielen, einem großen Tier mit einer
rötlichen Mähne. Sie langt mit ihrer Tatze hinauf und patscht
ihm ins Gesicht, ganz sanft, so als wollte sie ihn nur eben
berühren. Der große männliche Löwe schiebt sie beiseite, hält
sie mit seinem gewaltigen Vorderarm nieder und reinigt sie mit
seiner langen rauhen Zunge.«
Ayla wie Jondalar lauschten – beide wie gebannt.
»Dann, plötzlich«, fuhr Mamut fort, »kommt es zu einer
Störung. Eine Rentierherde kommt auf sie zugestürmt. Zuerst
dachte ich, sie wollten die Löwen angreifen – Träume haben oft
eine tiefere Bedeutung, als man zuerst annimmt –, aber diese
Rentiere sind in Panik, und als sie der Löwen ansichtig werden,
spritzen sie auseinander. Der Bruder des weiblichen
Löwenjungen wurde zu Tode getrampelt. Als alles vorüber ist,
versucht die Löwin, das männliche Löwenjunge dazu zu bringen
aufzustehen, kann es aber nicht wieder lebendig machen.
Deshalb läßt sie es zurück und zieht mit der jungen Löwin und
dem Rest des Rudels davon.«
Wie vor den Kopf geschlagen saß Ayla da.
»Was ist denn, Ayla?« fragte Mamut.
»Baby. Baby war der Bruder. Ich machte Jagd auf Rentiere,
scheuchte sie davon. Später fand ich einen kleinen Löwen, der
war verletzt. Brachte ihn hinauf in meine Höhle. Heilte ihn. Zog
ihn auf wie ein Menschen-Baby.«
»Der Höhlenlöwe, den du großgezogen hast, war von
Rentieren überrannt und niedergetrampelt worden?« Jetzt war
es an Mamut, erstaunt zu sein. Das konnte nicht einfach Zufall
sein. Das besaß eine tiefe, eine zwingende Bedeutung. Er war
zwar der Meinung gewesen, dieser Traum von den
Höhlenlöwen sei den ihm innewohnenden symbolischen
Werten nach zu deuten, nur ging die Bedeutung tiefer, als er je
für möglich gehalten hätte. Das ging über das Sich-auf-dieSuche-Begeben weit hinaus, überstieg alle Erfahrungen, die er
bisher im Leben gemacht hatte. Darüber mußte er eingehend
nachdenken; und sollte noch mehr davon erfahren.
»Ayla, wenn du nichts dagegen hast, mir meine Fragen zu
beantworten …«
Lautes Streiten unterbrach sie.
»Nichts machst du dir aus Fralie, nicht so viel! Du hast ja
nicht einmal einen anständigen Brautpreis für sie bezahlt!«
zeterte Crozie.
»Und für dich besitzt nichts irgendwelche Bedeutung außer
deinem eigenen Ansehen! Ich habe es satt, das mit dem geringen
Brautpreis immer wieder vorgehalten zu bekommen. Ich habe
dir bezahlt, was du verlangtest, als kein anderer etwas für sie
zahlen wollte.«
»Was soll das heißen: kein anderer wollte für sie bezahlen? Du
hast um sie gebettelt,
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