Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
forschend an. Sie ist verängstigt, dachte er. Kein
Wunder, schließlich war es für sie völlig unvorbereitet. Und
selbst wenn man darauf vorbereitet ist, ist es das erste Mal noch
erschreckend genug. Nur bin ich gar nicht auf den Gedanken
gekommen, sie einzuführen. Wer hätte geahnt, daß ihre
natürliche Fähigkeit so groß ist! Sie hat ja nicht einmal den
Somuti zu sich genommen. Ihre Gabe ist sehr stark ausgeprägt. Sie muß angeleitet werden – zu ihrem eigenen Besten. Nur – wieviel kann ich ihr jetzt sagen? Ich möchte nicht, daß sie ihre Gabe als eine Belastung empfindet, unter der sie ihr Leben lang zu leiden hat. Ich möchte, daß sie diese Gabe als Geschenk empfindet, auch wenn sie damit eine große Verantwortung auf sich nimmt … aber Die Mutter verleiht Ihre Gaben für gewöhnlich nicht an solche, die sie nicht annehmen können.
Die Mutter muß mit dieser jungen Frau Besonderes vorhaben. »Wohin, meinst du, sind wir gereist, Ayla?« fragte der alte
Schamane.
»… nicht sicher. Draußen … in einem Schneesturm, und ich
habe Wisente gesehen … die Kuh mit dem abgebrochenen
Horn … unten am Fluß.«
»Du hast es klar gesehen. Ich war überrascht, als ich dich
neben mir fühlte. Aber ich hätte gleich erkennen müssen, daß
dies geschehen könnte. Ich wußte ja, daß du die Möglichkeit in
dir trägst. Du besitzt eine Gabe, Ayla, aber du mußt angeleitet
werden, dich darin üben, sie zu gebrauchen.«
»Eine Gabe?« fragte Ayla und setzte sich auf. Ein eisiger
Schauder überlief sie, und für einen Moment schoß ihr Angst in
die Glieder. Sie wollte keine Gaben. Das einzige, was sie wollte,
war ein Gefährte und Kinder, wie Deegie, oder wie jede andere
Frau. »Was für eine Gabe, Mamut?«
Jondalar sah, wie sie erbleichte. Wie verängstigt und
verwundbar sie aussieht, dachte er und legte schützend den Arm
um sie. Er wollte ihr nur Geborgenheit geben, sie vor Schaden
bewahren, sie lieben. Ayla kuschelte sich in seinen warmen Arm
und spürte, wie die Furcht von ihr wich. Mamut bemerkte die
feinen Reaktionen und Gegenreaktionen, für ihn Stoff zum
Nachdenken über diese geheimnisvolle junge Frau, die so
plötzlich in ihrer Mitte aufgetaucht war. Warum, so fragte er
sich, ausgerechnet bei ihnen?
Er schrieb es nicht dem Zufall zu, daß Ayla auf das LöwenLager gestoßen war. Zufälle spielten in seiner Vorstellung von
der Welt keine große Rolle. Der Mamut war überzeugt, daß alles
einem Zweck diente, daß eine lenkende Kraft dahinterstand, ein
Grund für das Vorhandensein von allem, ob er es nun verstand
oder nicht. So war er auch sicher, daß Die Mutter einen Grund
hatte, warum Sie Ayla zu ihnen geführt hatte. Klarsichtig hatte
er einige Mutmaßungen über sie angestellt, und jetzt, da er
mehr über ihren Hintergrund wußte, fragte er sich, ob einer der
Gründe, warum sie zu ihnen geschickt worden war, in seiner
eigenen Person liegen könne. Er wußte, höchstwahrscheinlich
würde er mehr als jeder andere sie verstehen.
»Welche Art Gabe, weiß ich nicht, Ayla. Eine Gabe von der
Mutter kann viele Formen annehmen. Du zum Beispiel scheinst
die Gabe des Heilens zu besitzen. Und die Art und Weise, wie
du mit Tieren umgehst – das ist wahrscheinlich auch eine
Gabe.«
Ayla lächelte. Wenn die Heilkunst, die sie von Iza erlernt
hatte, eine Gabe war, hatte sie nichts dagegen. Und wenn
Winnie und Renner und Baby Gaben Der Mutter waren, konnte
sie nur dankbar sein. Sie war längst der Meinung, daß es der
Geist des Großen Höhlenlöwen war, der ihr die Tiere geschickt
hatte. Und vielleicht hatte auch Die Mutter etwas damit zu tun. »Und nach dem, was ich heute erfahren habe, würde ich
sagen, daß du die Gabe besitzt, dich auf die Suche zu begeben.
Die Mutter hat dich reich mit Gaben beschenkt«, sagte Mamut. Besorgt runzelte Jondalar die Stirn. Zuviel Aufmerksamkeit
von Doni war nicht unbedingt wünschenswert. Ihm selbst hatte
man oft genug gesagt, wie vom Glück begünstigt er wäre; aber
besonders glücklich war er deshalb noch nie gewesen. Plötzlich fielen ihm die Worte des alten weißhaarigen Heilkundigen ein, der Der Mutter für das Volk der Sharamudoi gedient hatte. Der Shamud hatte ihm einst gesagt, Die Mutter begünstige ihn deshalb so sehr, damit keine Frau sich ihm verweigern könne, nicht einmal die Mutter Selbst – darin bestehe seine Gabe –, aber er hatte ihm eingeschärft, sehr auf der Hut zu sein. Gaben der Mutter seien kein reiner Segen; man stehe dann stets in Ihrer Schuld. Ob das wohl
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