Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Deegie setzte sich auf die andere Seite von Latie und lächelte sie an.
»Wo ist denn Druwez?« fragte sie. »Ich habe ihn nie zu suchen brauchen. Da brauchte ich nämlich immer nur nach dir Ausschau zu halten.«
»Ach, der unterhält sich mit Danug«, sagte Latie. »Sie hocken jetzt immer zusammen. Ich war so froh, als mein Bruder heimkam, weil ich dachte, jetzt hätten wir drei viel mehr, worüber wir reden könnten. Aber sie wollen immer nur miteinander reden.«
Deegie und Ayla sahen sich an; ein wissender Blick ging zwischen ihnen hin und her. Die Zeit war gekommen, da Kinderfreundschaften in einem neuen Licht betrachtet werden mußten und sich nach dem Beziehungsmuster der Erwachsenen zu richten hatten; sie mußten anfangen, den Mann und die Frau im anderen zu sehen, und das konnte schon eine verwirrende, einsame Zeit sein. Ayla war den größten Teil ihres Lebens über ausgeschlossen gewesen und auf diese oder jene Weise als Fremde betrachtet worden. Sie wußte, was es bedeutete, allein zu sein, selbst wenn man umgeben war von lauter Leuten, die einen liebten. Später, in ihrem Tal, hatte sie eine Möglichkeit gefunden, eine noch verzweifeltere Einsamkeit zu ertragen. Jetzt mußte sie an die Sehnsucht und Erregung denken, die in den Augen des Mädchens aufleuchteten, wann immer sie nach den Pferden blickte.
Ayla sah erst Deegie und dann Latie an, um sie in die Unterhaltung einzubeziehen. »Heute ist ein geschäftiger Tag. Ich habe jetzt jeden Tag viel zu tun. Ich brauche Hilfe. Könntest du mir vielleicht helfen, Latie?« fragte Ayla.
»Dir helfen? Aber natürlich. Was soll ich für dich tun?«
»Früher habe ich die Pferde jeden Tag gebürstet und bin mit ihnen ausgeritten. Jetzt habe ich nicht mehr soviel Zeit. Könntest du mir helfen? Ich zeige es dir.«
Latie machte große, runde Augen. »Ich soll dir helfen, mich um die Pferde kümmern?« fragte sie halblaut vor Verwunderung. »Ach, Ayla, dürfte ich das denn?«
»Ja. Solange ich hier bleibe, könntest du mir große Hilfe sein«, erwiderte Ayla.
Alle saßen sie dicht gedrängt am Herdfeuer des Mammut. Talut, Tulie und etliche andere unterhielten sich mit Mamut über die Wisentjagd. Der alte Mann hatte sich auf die Suche begeben, und sie sprachen darüber, ob er es noch einmal tun sollte. Da die Jagd so erfolgreich verlaufen war, fragten sie sich, ob es nicht schon bald wieder zu einer solchen kommen könne. Er willigte ein, es zu versuchen.
Der große Anführer ließ mehr und mehr Schnappes herumgehen, jenen vergorenen Trank, den er mit der Stärke der Rohrkolbenwurzeln angesetzt hatte, und füllte auch Aylas Becher, während Mamut sich darauf vorbereitete, sich auf die Suche zu begeben. Den größten Teil des vergorenen Getränks, das er ihr draußen gegeben, hatte sie getrunken, doch plagten sie Schuldgefühle, ein bißchen davon auch weggeschüttet zu haben. Diesmal schnüffelte sie erst ausgiebig daran, schwenkte es ein paarmal im Becher herum, holte tief Luft und schluckte dann alles hinunter. Lächelnd füllte Talut ihr den Becher aufs neue. Sie dankte ihm mit einem etwas zaghaften Lächeln und trank auch diesen aus. Und nochmals schenkte er ihr nach, als er wieder vorüberkam und ihn leer fand. Eigentlich wollte sie nicht, doch war es bereits zu spät, noch abzulehnen. Sie schloß die Augen und trank den Becher mit dem schweren Getränk auf einen Zug aus. Langsam gewöhnte sie sich an den Geschmack, konnte jedoch immer noch nicht verstehen, warum alle es so gern zu mögen schienen.
Während sie wartete, wurde ihr ein wenig schwindelig, sang es in ihren Ohren und trübte sich ihr der Blick. Sie bekam es gar nicht mit, als Tornec anfing, dem Schulterblatt des Mammut eine rhythmische Tonfolge zu entlocken, sondern meinte vielmehr, dies finde in ihrem Inneren statt. Sie schüttelte den Kopf und versuchte aufzumerken. Dabei konzentrierte sie sich auf Mamut und beobachtete, wie dieser etwas schluckte – und hatte das unbestimmte Gefühl, daß dies gefährlich sei. Zwar wollte sie ihn daran hindern, doch blieb sie auf ihrem Platz sitzen. Er war Mamut, er mußte wissen, was er tat.
Der großgewachsene, schmale alte Mann mit dem weißen Bart und dem schlohweißen langen Haar saß mit gekreuzten Beinen hinter einer anderen Schädeltrommel. Er nahm einen Geweihschlegel zur Hand, spielte, nachdem er sich eine Weile eingehört hatte, zusammen mit Tornec und hob dann zu einem Singsang an. Andere nahmen den Singsang auf, und bald waren alle hingebungsvoll mit dem
Weitere Kostenlose Bücher