Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
präsentieren.
»Nein. Ich habe es nicht vergessen. Hier«, sagte er und hielt ihr den Gegenstand hin, den er bisher hinterm Rücken versteckt gehalten hatte. Sie besah sich das Stück geschnitzten Elfenbeins, das er in den schalenförmig zusammengelegten Händen hielt, und wollte ihren Augen im ersten Moment nicht trauen. Selbst als er sie von den weißen Pelzen befreite, die sie in der Hand hielt, griff sie nicht danach. Es war fast, als ob sie Angst hätte, es zu berühren. Fassungslos hob sie den Blick und sah ihn an.
»Ranec«, hauchte sie, streckte die Hand ein wenig vor, und zögerte. Er mußte es ihr geradezu aufnötigen, und selbst dann noch hielt sie es mit geradezu übertriebener Vorsicht, als ob sie es zerbrechen könnte. »Das ist ja Winnie! Es ist, als ob du Winnie genommen und ganz klein gemacht hättest«, rief sie aus und besah sich das köstlich geschnitzte Pferd aus Elfenbein von allen Seiten. Die Schnitzerei war nicht länger als eine Handspanne. Ein Hauch von Farbe war auf das Bildwerk aufgetragen: gelblicher Ocker für das Fell, zerstoßene schwarze Holzkohle für die Beine, die struppige Mähne und den Rückenstreifen bis hin zum Schwanz – alles den natürlichen Farben von Winnie entsprechend. »Schau, kleine Ohren, genau richtig! Und Hufe und Schweif! Selbst Besonderheiten wie auf dem Fell! Ach, Ranec, wie machst du das nur?«
Als Ranec sie herzlich an sich drückte, hätte er nicht glücklicher sein können. Sie reagierte genauso, wie er es sich ersehnt, ja erträumt hatte, und der Ausdruck der Liebe in seinen Augen, als er sie ansah, war so auffällig, daß Nezzie die Augen feucht wurden. Sie sah zu Jondalar hinüber und erkannte, daß es diesem nicht entgangen war. Zorn malte sich auf seinen Zügen. Wissend schüttelte sie den Kopf.
Nachdem nun endgültig alle Geschenke getauscht worden waren, begleitete Ayla Deegie zum Herdfeuer des Auerochsen, um ihr neues Kleid überzuziehen. Seit Ranec das Hemd aus der Fremde erworben hatte, war Deegie bemüht gewesen, ihr Leder gleichfalls in diesen Farben zu färben. Schließlich war sie dem recht nahe gekommen, und hatte aus dem cremefarbenen Leder ein kurzärmeliges Kleid mit V-Ausschnitt und gleichfalls Vförmig spitzauslaufendem Rocksaum gefertigt, dazu passende Beinlinge und in der Taille einen Gurt aus fingergewebten Bändern aus leuchtenden Farben ähnlich denen, wie sie auf den Mustern des Hemds auftauchten. Der im Freien verbrachte Sommer hatte Aylas Haut tief gebräunt und ihr blondes Haar soweit aufgehellt, daß es fast die Farbe des Leders hatte. Das ganze Kleid paßte ihr, als wäre es für sie gemacht.
Mit Deegies Hilfe legte Ayla wieder Mamuts Elfenbeinarmreife an, fügte dann noch Taluts Messer in der roten Scheide sowie die Halskette von Nezzie hinzu, doch als die junge Mamutoifrau ihr bedeutete, sie solle den abgeschabten, fleckigen und ziemlich prall gefüllten Lederbeutel abnehmen, den sie um den Hals hängen hatte, lehnte Ayla das entschieden ab.
»Das ist mein Amulett, Deegie. Es birgt den Geist des Höhlenlöwen, vom Clan, von mir. Kleine Stücke, so wie Ranecs Schnitzerei eine kleine Winnie ist. Creb hat mir gesagt, wenn ich es verliere, kann mein Totem mich nicht finden. Dann würde ich sterben«, versuchte Ayla ihr zu erklären.
Deegie überlegte einen Moment und sah Ayla dann an. Die ganze Wirkung des neuen Kleides wurde zunichte gemacht durch den abgegriffenen kleinen Lederbeutel. Selbst der Riemen, an dem sie ihn um den Hals trug, war bereits abgewetzt, doch gerade das brachte sie auf eine Idee.
»Ayla, was machst du, wenn dieser Riemen reißt? Er sieht aus, als ginge er bald entzwei«, fragte Deegie.
»Dann mache ich einen neuen Beutel und einen neuen Riemen.«
»Dann ist es also nicht der Beutel, der wichtig ist, sondern das, was drin ist, hab’ ich recht?«
»Ja.«
Deegie sah sich suchend um und erspähte plötzlich den Nähbeutel, den Crozie Ayla geschenkt hatte. Sie hob ihn auf, entleerte den Inhalt vorsichtig auf die Plattform und hielt ihn ihr hin. »Gibt es irgendeinen Grund, warum du dann nicht diesen nehmen kannst? Wir könnten ihn an einer Perlenschnur befestigen – eine von denen, die du im Haar trägst, würde gehen –, und dann kannst du ihn um den Hals tragen.«
Ayla nahm den wunderschön verzierten Beutel von Deegie entgegen, besah ihn sich, legte die Hand um den vertrauten alten Lederbeutel und ließ das Gefühl der Sicherheit, das das Clan-Amulett ihr vermittelte, auf sich wirken. Aber sie war keine
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