Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
mit abgerundeten Ecken geschnitzt. Fischmuster waren sowohl hineingeschnitzt als auch draufgemalt; außerdem Muschelteile draufgeklebt. Insgesamt vermittelte der bildliche Schmuck den Eindruck eines von Fischen und Wasserpflanzen wimmelnden Gewässers. Als Ayla den Deckel hochhob, begriff sie erst, was dieser so kostbare Kasten enthielt. Er war bis obenhin mit Salz gefüllt.
Ayla hatte eine recht gute Vorstellung davon, welch einen großen Wert Salz darstellte. Während ihrer Kindheit beim Clan, der in der Nähe der Beran-See – des Schwarzen Meeres – gelebt hatte, war Salz etwas ganz Selbstverständliches für sie gewesen. Es war recht einfach zu gewinnen, und manche Fische wurden sogar damit haltbar gemacht. Doch weiter im Landesinneren, im Tal der Pferde, hatte es kein Salz gegeben, und es hatte einige Zeit gedauert, sich an die völlige Salzlosigkeit ihrer Kost zu gewöhnen. Das Löwen-Lager war noch weiter von der See entfernt als ihr Tal. Sowohl Salz als auch Muscheln hatten über weite Entfernungen transportiert werden müssen: Trotzdem hatte Tulie ihr einen ganzen Kasten voll davon geschenkt. Es war also ein seltenes, überaus kostbares Geschenk.
Ein Gefühl großer Ehrfurcht erfüllte Ayla, als sie ihr Geschenk für die Anführerin des Löwen-Lagers hervorholte, und sie hoffte inständig, daß Jondalar recht hatte mit seinem Vorschlag und dies genau das Richtige war. Der Pelz, den sie ausgesucht hatte, stammte von einem Schneeleoparden – einem Tier, das in dem Winter, da Ayla und Baby gelernt hatten, gemeinsam zu jagen, versucht hatte, ihnen eine Beute abzujagen. Als es so aussah, daß es zu einem Kampf kommen würde, hatte Ayla die ausgewachsene, gleichwohl jedoch kleinere Raubkatze als Baby mit einem aus ihrer Schleuder abgeschossenen Stein betäubt und ihr dann mit einem zweiten den Garaus gemacht.
Dieses Geschenk war offensichtlich etwas völlig Unerwartetes, und Tulies Augen leuchteten vor Freude, doch erst als sie der Versuchung nicht mehr widerstehen konnte, sich den kuscheligen dichten Winterpelz um die Schultern zu werfen, wurde ihr klar, daß es sich bei dem Schneeleopardenfell um die gleiche einzigartige Qualität handelte, die auf Talut einen solchen Eindruck gemacht hatte. Die Innenseite fühlte sich unglaublich weich an. Felle waren im allgemeinen steifer als haarloses Leder. Ihrer Beschaffenheit entsprechend, konnten Felle ja nur auf der einen Seite mit den Schabern bearbeitet werden, die man benutzte, um die Lederhaut zu dehnen und weich zu machen. Zwar ließ sich mit der Mamutoi-Methode der Lederaufbereitung haltbareres Leder herstellen, doch war dieses weniger weich und schmiegsam als das von Ayla hergestellte, das nur mit Fett bearbeitet wurde. Tulie hatte nicht erwartet, daß das Geschenk einen solchen Eindruck auf sie machen würde, und sie beschloß sogleich herauszufinden, nach welcher Methode Ayla vorging.
Wymez näherte sich mit einem in ein weiches Ledertuch eingewickelten Gegenstand. Ayla wickelte ihn aus und hielt die Luft an. Es war eine prachtvolle Speerspitze, wie ein vollkommen ebenmäßig facettierter Schmuckstein und sehr kostbar. Ihr Geschenk für ihn war eine dicke Bodenmatte, auf die er sich bei seiner Arbeit setzten konnte. Die meisten von Aylas Körben und Matten besaßen kein Farbmuster, doch im letzten Winter in ihrer Höhe hatte sie angefangen, mit verschiedenen Grassorten zu experimentieren, die natürliche Farbunterschiede aufwiesen. Dabei war in Verbindung mit ihren üblichen Flechtmustern eine Matte entstanden, die ein zwar unaufdringliches, aber durchaus erkennbares Ein-Sternplatzt-Muster aufwies. Sie war damals sehr erfreut darüber gewesen, und als sie sich an das Aussuchen der Geschenke machte, waren ihr bei den pfeilspitz auslaufenden Strahlen, die von der Mitte ausgingen, die wunderschönen Spitzen von Wymez eingefallen; die Webart wiederum gemahnte an die kleinen Dellenränder der feinen Plättchen, die er von den Feuersteinklingen und Schneidewerkzeugen abschlug. Sie war gespannt, ob ihm das auffallen würde.
Nach eingehender Betrachtung schenkte er ihr eines seiner seltenen Lächeln. »Die Matte ist ja wunderschön! Sie erinnert mich an eine Arbeit von Ranecs Mutter. Die konnte Gras besser zu Matten verarbeiten als jeder andere. Jedenfalls sollte ich die wohl aufheben und an die Wand hängen. Dafür werde ich jetzt diese benutzen und mich bei der Arbeit darauf setzen. Sie hilft mir bestimmt, nicht zu vergessen, was ich mir vorgenommen hatte.«
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