Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Seine Umarmung hatte nichts von der Zurückhaltung, die er im allgemeinen beim Reden an den Tag legte. Ayla erkannte, daß Wymez hinter seinem stillen Äußeren ein freundlicher, warmherziger und feinfühliger Mann war.
Es gab keine besondere Reihenfolge, nach der die Geschenke verteilt wurden, und der nächste, der neben der Plattform stand und wartete, daß er an die Reihe kam, war Rydag. Ayla setzte sich neben ihn und erwiderte seine heftige Umarmung. Dann machte er die Hand auf und hielt eine spannenlange runde Röhre in der Hand, den Röhrenknochen eines Vogels, in den Löcher hineingebohrt worden waren. Sie nahm sie entgegen, besah sie sich von allen Seiten, war sich aber nicht über ihren Zweck im klaren. Daraufhin nahm er sie ihr wieder ab, hielt sie an den Mund und blies. Der Pfeifton, der dabei entstand, hatte etwas Lautes und Durchdringendes. Ayla versuchte, den Ton gleichfalls hervorzubringen, und lächelte. Dann schenkte sie ihm eine warme, wasserdichte Kapuze aus Vielfraßfell, wie die Leute vom Clan sie trugen; doch als er sie aufsetzte, gab ihr das einen Stich. Er erinnerte sie allzusehr an Durc.
»Ich hatte ihm eine solche Pfeife gegeben, damit er mich rufen kann, wenn er mich braucht. Manchmal hat er nicht genug Puste, um zu schreien; aber für eine Pfeife reicht sie«, erklärte Nezzie. »Diese hier hat er selbst gemacht.«
Deegie überraschte Ayla mit dem Kleid, das sie eigentlich heute abend hatte tragen wollen. Als sie den Ausdruck gesehen hatte, der Ayla bei seinem Anblick in die Augen gekommen war, hatte Deegie beschlossen, es ihr zu schenken. Ayla fehlten die Worte, sie starrte das Kleid nur an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann erst konnte sie sagen: »Noch nie habe ich etwas so Wunderschönes gesehen.«
Dann überreichte sie Deegie ihr Geschenk, einen Stapel Körbe sowie mehrere wunderbar geschliffene und polierte Schalen von unterschiedlicher Größe, die sowohl als Trinkbecher als auch für Suppe benutzt werden konnten, ja, es ließ sich sogar darin kochen, und so sollten sie ihr an ihrem neuen Herdfeuer dienen, nachdem sie sich mit Branag zusammengetan hatte. In einer Gegend, in der Holz vergleichsweise selten und im allgemeinen Knochen und Elfenbein das Material waren, aus dem Geräte dieser Art hergestellt wurden, stellten die Schalen ein ganz besonderes Geschenk dar. Die beiden jungen Frauen umarmten sich so herzlich, als wären sie Schwestern.
Um ihr zu beweisen, daß er ihr durchaus ein anständiges Geschenk gönnte, überreichte Frebec ihr ein Paar kniehoher Pelzstiefel, die am oberen Rand mit Stachelschweinborsten verziert waren, woraufhin sie wiederum froh war, eines ihrer besten Rentiersommerfelle für ihn ausgesucht zu haben. Das Haar des Rentiers war hohl, stellte eine winzige luftgefüllte Röhre dar und isolierte daher auf ganz natürliche Weise. Das Sommerfell stellte das wärmste und zugleich leichteste dar, was man kannte, und ergab daher nicht nur die praktischste und bequemste Kleidung für die Jagd bei kaltem Winterwetter, sondern galt auch noch als äußerst kostbar. Aus den Fellen, die sie ihm überreichte, ließ sich ein ganzer aus Hemd und Hose bestehender Anzug fertigen, der so warm hielt, daß man selbst bei klirrendem Frost nur noch einen Überwurf brauchte und sich nicht in Pelze von beträchtlichem Gewicht hüllen mußte. Er spürte genauso wie die anderen die ungewöhnliche Weichheit ihrer Felle, enthielt sich jedoch jeden Kommentars und hieß sie nur mit einer steifen und sehr förmlichen Umarmung willkommen.
Fralie schenkte ihr zu den Stiefeln passende Pelzfäustlinge und Ayla der Schwangeren einen wunderschönen Kochkorb, der einen Beutel getrockneter Blätter enthielt. »Ich hoffe, du magst diesen Tee, Fralie«, sagte sie und sah sie dabei bedeutsam an, gleichsam als wolle sie ihre Worte unterstreichen. »Es tut gut, gleich morgens beim Aufwachen einen Becher davon zu trinken und vielleicht noch abends vorm Schlafengehen. Wenn du möchtest, kann ich dir mehr davon geben, sobald der Tee aufgebraucht ist.«
Fralie nickte zustimmend, dann umarmten sie sich. Argwöhnisch sah Frebec zu, doch Ayla überreichte ja nur ein Geschenk, und daß Fralie dem neuesten Mitglied vom LöwenLager ihrerseits ein Geschenk gab, darüber konnte er sich kaum beschweren, oder? Ayla war über die Umstände nicht gerade glücklich. Lieber hätte sie Fralie direkt und offen behandelt; aber die kleine Notlüge war besser, als überhaupt nicht helfen zu können,
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