Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
doch nicht weismachen, du hättest einen Löwen dazu gebracht, von einem Verwundeten abzulassen?«
»Nicht irgendeinen Löwen. Baby«, sagte Ayla.
»Was ist das … was sagst du da?«
»Baby ist Clanwort. Bedeutet Kind, ganz kleines Kind. Name, den ich Löwen gebe, als er bei mir. Baby ist Löwe, den ich kenne. Pferd kennt auch. Keine Angst.« Ayla war völlig aus der Fassung; irgend etwas stimmte nicht, doch sie wußte nicht, was.
»Du hast mit einem Löwen zusammengelebt? Das glaube ich dir nicht«, erklärte er höhnisch.
»Du glaubst es nicht?« sagte Jondalar, und es hörte sich an, als wäre er zornig. Der Mann bezichtigte Ayla der Lüge, und Jondalar wußte nur allzugut, wie wahr ihre Geschichte war. »Ayla lügt nicht«, sagte er und stand auf, um den Riemen zu lösen, mit dem er seine Lederhose an der Hüfte festhielt. Einen Beinling ließ er herunterfallen und zeigte ihnen Leiste und Schenkel, die beide von leuchtendroten Narben entstellt waren.
»Dieser Löwe hat mich angefallen, und Ayla hat nicht nur fertiggebracht, daß er von mir abließ – sie ist auch noch eine große Heilkundige. Ohne sie wäre ich meinem Bruder in die nächste Welt gefolgt. Und noch etwas will ich euch sagen. Ich habe sie auf dem Rücken dieses Löwen reiten sehen, genauso wie sie auf einem Pferd reitet. Und wollt ihr mich einen Lügner nennen?«
»Kein Gast des Löwen-Lagers wird Lügner genannt«, sagte Tulie und funkelte Frebec an in dem Bemühen, eine gefährliche Situation zu entschärfen. »Ich meine, jeder kann sehen, daß du schlimm zerfleischt worden bist, und wir haben selbstverständlich gesehen, wie die Frau – Ayla – auf dem Pferd ritt. Ich sehe keinen Grund, das, was du sagst oder was sie sagt, anzuzweifeln.«
Betretenes Schweigen machte sich breit. Verwirrt sah Ayla von einem Gesicht zum anderen. Sie kannte das Wort »Lügner« nicht, und sie begriff nicht, wieso Frebec behauptete, er glaube ihr nicht. Ayla war unter Menschen aufgewachsen, die sich durch Gebärden und Zeichen miteinander verständigten. Mehr als aus Handzeichen bestand die Sprache des Clans aus bestimmten Körperhaltungen und aus Mienenspiel, um Feinheiten und Bedeutungsnuancen auszudrücken. Mit dem gesamten Körper zu lügen war unmöglich. Man konnte bestenfalls davon Abstand nehmen, etwas zu erwähnen, und selbst das merkte man, wenn es auch um der Sache des einzelnen willen geduldet wurde. Ayla hatte nie gelernt zu lügen.
Sie wußte nur, daß etwas nicht stimmte. Sie spürte Zorn und Feindseligkeit, die plötzlich dagewesen waren, als hätten sie sie laut hinausgeschrien. Talut sah, wie Ayla zu dem dunkelhäutigen Mann hinsah und den Blick dann abwandte. Und Ranecs Anblick gab ihm einen Gedanken ein, wie man die Spannung abbauen und zum Geschichtenerzählen zurückkehren konnte.
»Das war eine gute Geschichte, Jondalar!« erklärte er mit dröhnender Stimme und bedachte Frebec mit einem tadelnden Blick. »Von langen Reisen zu hören ist immer aufregend. Möchtest du die Geschichte einer anderen langen Reise hören?«
»Ja, sehr gern sogar.«
Alle lächelten und entspannten sich. Es war eine der beliebtesten Geschichten unter der Gruppe, und es gab selten Gelegenheit, sie Menschen zu Gehör zu bringen, die sie noch nicht kannten.
»Es handelt sich um Ranecs Geschichte …«, begann Talut.
Erwartungsvoll sah Ayla Ranec an. »Ich wüßte gern, wie Mann mit brauner Haut dazu kommt, im Löwen-Lager zu leben«, sagte sie.
Ranec sah sie lächelnd an, wandte sich dann jedoch dem Mann seines Herd-Feuers zu: »Es ist meine Geschichte, aber erzählen mußt du sie, Wymez«, sagte er.
Jondalar hatte sich wieder gesetzt und war sich nicht sicher, ob die Wendung, die das Gespräch genommen hatte – oder Aylas Interesse an Ranec – ihm gefiel; freilich war dies besser als nahezu unverhohlene Feindseligkeit, und außerdem interessierte es ihn auch.
Wymez setzte sich bequemer hin, nickte Ayla zu und schenkte Jondalar ein Lächeln. Dann begann er: »Wir haben mehr gemeinsam als nur das Gefühl für den Feuerstein, junger Mann. Auch ich habe in meiner Jugend eine lange Reise unternommen. Zuerst bin ich nach Südosten gezogen, an der Beran-See vorüber, ganz weit bis an die Küsten eines noch viel größeren Meeres fern im Süden. Dieses Süd-Meer hat viele Namen, denn viele Menschen leben an seinen Gestaden. Ich bin an seinem Ostrand entlanggezogen, dann am Südufer nach Westen durch ein Land mit vielen Wäldern, wo es viel wärmer ist als hier und wo auch
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