Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
schon zuviel Aufmerksamkeit zuteil, und das bereitete ihr Unbehagen. Sie besah sich Perlenschnüre und anderen Schmuck, und Kylie hielt ihr zwei spiralförmig sich verjüngende Meeresmuscheln ans Ohr.
»Zu schade, daß deine Ohren nicht durchbohrt sind«, sagte sie. »Diese würden dir gut stehen.«
»Hübsch sind sie«, sagte Ayla. Jetzt fielen ihr die Löcher in Kylies Ohren auf; auch ihr Nasenflügel war durchbohrt. Kylie gefiel ihr, sie bewunderte sie und spürte eine Beziehung, aus der sich eine Freundschaft entwickeln konnte.
»Warum nimmst du sie nicht trotzdem mit? Wenn du mit Deegie oder Tulie sprichst, machen sie es dir bestimmt. Und eine Tätowierung solltest du wirklich tragen, Ayla. Dann kannst du gehen, wohin du willst, und brauchst nicht erst lang und breit zu erklären, daß du vom Herdfeuer des Mammut stammst.«
»Aber ich bin doch keine Mamut«, sagte Ayla »Ich glaube doch, Ayla. Zwar bin ich mir über die nötigen Riten nicht im klaren, aber ich weiß, Lomie würde nicht zögern, wenn du ihr sagtest, du wärest bereit, dich dem Dienst Der Mutter zu weihen.«
»Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich wirklich soweit bin.«
»Vielleicht bist du das noch nicht, aber du wirst es sein. Das spüre ich genau.«
Erst nachdem sie und Deegie die Musikmacher verlassen hatten, ging Ayla auf, daß ihr etwas ganz Besonders zuteil geworden war, nämlich ein Blick hinter die Bühne, wie er nur wenigen Menschen erlaubt wird. Was sie zu sehen bekommen hatte, war ein Ort der Geheimnisse, geheimnisumwittert selbst noch, nachdem man ihn entschleiert und ihr erklärt hatte; um wieviel geheimnisvoller und übernatürlicher mußte er erscheinen, wenn man ihn nur von außen betrachtete. Ayla warf, als sie hinausgingen, einen Blick hinüber zum Arbeitsbereich der Werkzeugmacher, doch Jondalar war nicht mehr da.
Sie schloß sich Deegie an, als diese durch das Gesamtlager zum hinteren Teil der Senke ging, nach Freunden und Verwandten Ausschau hielt und sich ein Bild davon zu machen versuchte, wo die einzelnen Lager wären. So kamen sie an einem Gebiet vorüber, auf dem drei Zelte, unter Gebüsch versteckt, auf eine Lichtung hinausgingen. Irgend etwas an diesem Bereich schien merklich anders, doch konnte Ayla zuerst nicht den Finger darauf legen. Dann fielen ihr ein paar Einzelheiten auf. Die Zelte waren ziemlich abgerissen, nicht straff gespannt und die Löcher in den Fellplanen, falls überhaupt, nur notdürftig geflickt. Ein übelkeiterregender Gestank und das Gesumm von Fliegen lenkten ihre Aufmerksamkeit auf ein verwesendes Stück Fleisch, das zwischen zwei Zelten liegengeblieben war; dann bemerkte sie weitere Abfälle, die achtlos verstreut waren. Sie wußte, daß Kinder sich oft schmutzig machten, doch diejenigen, die sie anstarrten, sahen aus, als wären sie schon seit längerer Zeit nicht mehr gewaschen worden. Ihre Kleidung war speckig, das Haar ungepflegt, die Gesichter schmutzig.
Ayla bemerkte, daß Chaleg sich vor einem der Zelte herumtrieb. Daß sie hier auftauchte, überraschte ihn, und der erste Ausdruck, der über sein Gesicht ging, sprühte vor Bosheit und Haß. Das erschreckte Ayla. Nur Broud hatte sie so angesehen. Dann jedoch versteckte Chaleg dies, doch das unaufrichtige, böswillige Lächeln war fast noch schlimmer als der unverhohlene Haß.
»Verlassen wir diesen Bereich«, sagte Deegie und rümpfte verächtlich die Nase. »Es ist immer gut zu wissen, wo sie sich aufhalten; dann weiß man wenigstens, wo man nicht hingehen soll.«
Plötzlich erhob sich lautes Gezeter und Geschrei. Zwei Kinder, ein Junge von über zehn Jahren und ein etwa elfjähriges Mädchen kamen aus einem der Zelte hervorgeschossen.
»Gib das wieder her! Hörst du? Gib das wieder her!« kreischte das Mädchen und jagte hinter dem Jungen her.
»Dann mußt du mich erst fangen, kleine Schwester«, spottete der Junge, hielt ihr etwas vors Gesicht und schwenkte es hin und her.
»Du … Ach du … Gib es wieder her!« kreischte das kleine Mädchen wieder und rannte abermals hinter ihm her.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Jungen machte deutlich, daß die Wut und die Verzweiflung des Mädchens ihm großes Vergnügen bereiteten, doch als er sich einmal umdrehte, um sich nach ihr umzusehen, übersah er eine zutage liegende Wurzel. Er stolperte und stürzte heftig. Gleich darauf war das Mädchen über ihm und verprügelte ihn mit aller Macht. Daraufhin schlug er ihr mit großer Kraft ins Gesicht, woraufhin ihr das Blut aus der Nase schoß.
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