Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
alten Mamut und den anderen Mamuti in der gleichen Umwelt aufgewachsen, in derselben Kultur groß geworden, und ihre Ansichten und Überzeugungen, die sie sich zu eigen machten, um ihr Dasein zu begreifen, waren ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, waren Bestandteil ihrer geistigen und moralischen Existenz.
Ihren Vorstellungen entsprechend, war ihr Leben weitgehend vorbestimmt; sie konnten dessen Ablauf ja auch kaum beeinflussen. Krankheiten schlugen ohne erkennbaren Grund zu; selbst wenn man sie behandelte, konnten einige daran sterben, während andere sie überlebten. Unglücksfälle trafen nicht minder unvorhersehbar ein; war man, wenn es dazu kam, allein, bedeuteten sie häufig den Tod. Ein unwirtliches Klima sowie rasch wechselndes Wetter, wie es sich in der Nähe gewaltiger Gletscher ergab, konnte Dürrezeiten und Überschwemmungen hervorrufen, die ihren unmittelbaren Lebensraum beeinflußten, von dem sie abhängig waren. Ein zu kalter oder zu nasser Sommer konnte das Pflanzenwachstum verkümmern lassen, die Zahl der Tiere drastisch verringern oder sie bewegen, ihre Wanderzüge zu verändern; das konnte für ein Volk von Mammutjägern große Härten bedeuten.
Die Struktur ihres metaphysischen Kosmos entsprach ihrer physischen Umwelt und war nützlich insofern, als sie Antworten auf unlösbare Fragen lieferte – Fragen, die ohne ein Minimum von annehmbaren und – ihren Vorstellungen entsprechend – vernünftigen Erklärungen große Ängste hervorrufen würden. Doch mag eine Struktur noch so nützlich sein, sie engt in jedem Falle ein. Die Tiere der Welt zogen, wohin sie wollten, die Pflanzen gediehen aufs Geratewohl, und die Menschen waren mit all diesen Abläufen innig vertraut. Sie wußten, wo bestimmte Pflanzen wuchsen, und verstanden das Verhalten der Tiere; nie jedoch wäre es ihnen in den Sinn gekommen, diese Grundmuster verändern zu wollen: daß Tiere, Pflanzen und Menschen mit der Fähigkeit, sich zu verändern und anzupassen, geboren wurden, ja, daß ohne diese Fähigkeit für sie keine Überlebenschance bestand.
Die Gewalt oder Herrschaft, die Ayla über die von ihr großgezogenen Tiere ausübte, konnten die Mamutoi unmöglich als naturgegeben betrachten; kein Mensch hatte jemals versucht, ein Tier zu zähmen oder abzurichten. Die Mamuti, die das Bedürfnis nach Erklärungen voraussehen, um die durch diese erschreckende Neuerung hervorgerufenen Ängste zu beschwichtigen, hatten im Geiste den theoretischen Bereich ihrer metaphysischen Welt auf der Suche nach zufriedenstellenden Antworten abgeschritten. Es ging ja nicht nur um die schlichte Tatsache, daß Ayla Tiere gezähmt hatte. Sie hatte vielmehr übernatürliche Kräfte bewiesen, wie die Menschen sie in ihren kühnsten Träumen nicht für möglich hielten. Daß sie Tiere beherrschte – soviel stand für diese Menschen fest –, ließ sich nur dadurch erklären, daß sie Zugang zu der ursprünglichen Geist-Form und damit zu Der Mutter selbst hatte.
Vincavec war genauso wie alle anderen Mamuti inzwischen überzeugt, daß Ayla nicht nur eine Mamut war – Eine, Die Der Mutter Dient – sondern daß sie mehr sein mußte. Vielleicht verkörperte sie eine übernatürliche Gegenwärtigkeit; möglicherweise war sie sogar die fleischgewordene Mut Selbst. Das war um so glaubhafter, als sie nicht damit großtat. Doch worin ihre Kraft auch immer bestand, Vincavec war fest überzeugt, daß irgendein bedeutendes Schicksal ihrer harrte. Es mußte einen besonderen Grund für ihr Dasein geben, und er sehnte sich inbrünstig danach, Teil davon zu sein. Sie war die Erwählte Der Großen Erdmutter.
»Deine Erklärungen haben alle etwas für sich«, sagte Lomie schmeichelnd, nachdem sie sich Aylas Einwände angehört hatte, »aber würdest du wohl trotzdem bereit sein, an der Zeremonie des Herbeirufens teilzunehmen, selbst wenn du meinst, keinerlei Begabung dafür zu besitzen? Viele von uns glauben, daß die Mammutjagd besonders glücklich verlaufen wird, wenn du am Herbeirufen teilnimmst, und Glück zu bringen schadet dir ja nicht. Nur würde es die Mamutoi sehr, sehr glücklich machen.«
Ayla sah keine Möglichkeit, das abzuschlagen, aber wohl war ihr angesichts des ihr zuteil gewordenen überschwenglichen Lobes keineswegs. Jetzt haßte sie es förmlich, durch das große Lager zu gehen, und wartete gespannt auf den Beginn der Mammutjagd morgen. Gewiß würde sie erleichtert aufatmen, wenn es ihr gelang, für eine Weile fortzukommen.
Ayla erwachte und
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