Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
kleine Flöte dazu, die er ganz besonders geliebt hatte. Tronie brachte auf eine Schnur aufgezogene Knochen und Hirschwirbel, die er benutzt hatte, wenn er während des vergangenen Winters auf die Babys und Kleinkinder des Löwen-Lagers aufgepaßt hatte, eine seiner liebsten Beschäftigungen, weil er sich damit hatte nützlich machen können. Völlig unerwartet kam dann noch Rugie herbeigelaufen und ließ ihre Lieblingspuppe in das Grab fallen.
Auf ein Zeichen von Ayla hin hob jeder Angehörige des Löwen-Lagers einen Stein auf und legte ihn auf die in das Tuch eingehüllte Gestalt: Das bildete den Anfang eines Grabhügels aus Steinen, der über ihm errichtet wurde. Jetzt erst begann Ayla mit der eigentlichen Bestattungszeremonie. Diesmal bemühte sie sich nicht erst, alles zu erklären; denn alles schien durchaus einleuchtend. Sich derselben Gebärden bedienend, die Creb bei Izas Bestattung vollführt, und die sie ihrerseits gemacht hatte, um Crebs Grab zu ehren, nachdem sie ihn in der von Geröll übersäten Höhle gefunden, verlieh Ayla mit ihren Bewegungen einem Bestattungsritual Bedeutung, das weit älter war, als irgend jemand wissen konnte – und weit schöner, als irgendeiner sich hatte vorstellen können.
Diesmal bediente sie sich nicht der vereinfachten Zeichensprache, die sie selbst dem Löwen-Lager beigebracht hatte. Diesmal handelte es sich um die umfassende, komplexe und reiche Clan-Sprache, in der Bewegungen und Haltungen des ganzen Körpers feine Bedeutungsunterschiede und Nuancen zum Ausdruck brachten. Wiewohl es sich bei vielen der Zeichen um Geheimzeichen handelte – deren volle Bedeutung auch Ayla selbst nicht klar war –, gehörte eine Fülle gewöhnlicher Gesten dazu, von denen das Löwen-Lager eine ganze Reihe kannte. Jedenfalls verstanden sie das Wesentliche und begriffen, daß es sich um ein Ritual handelte, mit dem jemand in die jenseitige Welt verabschiedet wurde. Für alle anderen Mamutoi gemahnten Aylas Bewegungen an einen verhaltenen, gleichwohl ausdrucksvollen Tanz, der ganz aus Hand- und Armbewegungen, Haltungen und Gebärden bestand. Darin beschwor sie mit stummer Anmut die Liebe und den Verlust, den Kummer und die mystische, dem Tod innewohnende Hoffnung.
Jondalar war überwältigt. Ihm liefen die Tränen die Wangen herunter wie kaum einem zweiten Angehörigen des LöwenLagers. Als er ihren schönen stummen Tanz sah, erinnerte er sich an eine Zeit in ihrem Tal – wie lange schien das jetzt her zu sein! –, als sie einst mit ähnlich anmutigen Bewegungen ihm etwas hatte begreiflich machen wollen. Zwar hatte er damals nicht verstanden, daß es sich um eine Sprache handelte, doch hatte er in ihren ausdruckvollen Gebärden eine tiefere Bedeutung vermutet. Jetzt, da er mehr wußte als damals, erstaunte es ihn, wieviel er nicht wußte. Und doch – wie bezaubernd, wenn Ayla sich auf diese Weise bewegte!
Er mußte an die Haltung denken, die sie eingenommen, als sie sich kennengelernt hatten; sie hatte mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden gesessen und mit gesenktem Kopf darauf gewartet, daß er ihr auf die Schulter klopfte. Selbst als sie bereits mit Worten sprechen konnte, hatte sie diese Haltung manchmal eingenommen. Das hatte ihn stets verlegen gemacht, insbesondere nachdem er erfahren hatte, daß es sich um eine Clan-Geste handelte; sie jedoch hatte ihm gesagt, das sei ihr Versuch etwas auszudrücken, wofür ihr die Worte fehlten. Er lächelte in sich hinein. Kaum vorstellbar, daß sie bei ihrer ersten Begegnung nicht hatte reden können. Jetzt beherrschte sie fließend zwei Sprachen: Zelandonii und Mamutoi. Drei, wenn man die Clan-Sprache mitzählte. Sogar etwas Sungaea hatte sie in der kurzen Zeit bei diesem Stamm aufgeschnappt.
Als er, von Erinnerungen an das Tal und von Erinnerungen an ihre Liebe erfüllt, verfolgte, wie sie das Clan-Ritual vollzog, begehrte er sie heftiger, als er in seinem Leben jemals etwas begehrt hatte. Doch Ranec stand ganz nahe bei ihr; auch er ganz hingerissen. Wann immer Jondalar zu Ayla hinblickte, sah er auch den dunkelhäutigen Mann. Gleich bei ihrer Ankunft hatte Ranec sie aufgesucht und deutlich gemacht, daß sie ihm immer noch anverlobt war. Und Ayla schien distanziert, ungreifbar. Mehrere Male hatte er den Versuch unternommen, mit ihr zu reden, seinen Kummer auszudrücken, doch nach ihren ersten Augenblicken des geteilten Leids schien sie nicht bereit, seine Bemühungen, sie zu trösten, anzuerkennen. Er fragte sich nachgerade, ob er es
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