Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
den sie gemacht hatte.
»Und was ist mit Einhüllen?« fragte Nezzie. »Soll er denn nicht in etwas eingehüllt werden, Ayla?«
»Ich weiß nicht, was das bedeutet«, sagte Ayla »Wir benutzen eine Lederhaut oder ein Fell oder irgend etwas, um ihn hinauszutragen, und darin wird er dann eingehüllt, ehe er ins Grab gelegt wird«, erklärte Nezzie.
Das war nun wieder eine Mamutoi-Sitte, ging Ayla auf, und ihr schien, wenn man ihn so reich kleidete und ihm all seinen Schmuck anlegte, daß seine Bestattung schon mehr Mamutoi- als Clan-Elemente aufwies. Erwartungsvoll beobachteten die drei Frauen sie. Sie sah nochmals Tulie an und wandte dann den Blick Nezzie zu. Doch, vielleicht hatte Nezzie recht. Irgend etwas sollte benutzt werden, um ihn zu tragen, eine Art Unterlage oder Zudecke. Dann sah sie Crozie an.
Plötzlich fiel ihr etwas ein, woran sie schon seit einiger Zeit nicht mehr gedacht hatte: Durcs Tragetuch, das sie benutzt hatte, um ihren Sohn als winziges Kind dicht an der Brust zu tragen und ihn auf der Hüfte zu halten, als er ein Kleinkind gewesen war, das noch nicht richtig laufen konnte. Das Tragetuch war das einzige, das sie vom Clan mitgenommen hatte, obwohl es keinem unmittelbaren Zweck diente. Doch wie viele Nächte hatte ihr Durcs Tragetuch in ihrer Einsamkeit nicht ein Gefühl der Verbundenheit mit dem einzigen sicheren Ort gegeben, den sie kannte, und mit denen, die sie liebte? Wie viele Nächte hatte sie nicht mit diesem Tuch geschlafen? Hineingeweint? Es an sich gedrückt und sich hin und hergewiegt? Das Tuch war das einzige, was sie von ihrem Sohn hatte, und sie wußte nicht recht, ob sie es hergeben sollte; doch brauchte sie es wirklich? Wollte sie es für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen?
Ayla bemerkte, daß Crozie sie wieder ansah, und erinnerte sich an den weißen Umhang, jenen, den Crozie für ihren Sohn gemacht hatte. Crozie hatte ihn jahrelang mit sich herumgeschleppt, weil er ihr soviel bedeutete. Dennoch hatte sie ihn für einen guten Zweck hergegeben – ihn Renner geschenkt, damit er ihn beschütze. War es für Rydag nicht wichtiger, in etwas eingehüllt zu werden, das vom Clan stammte, wenn er schon auf seinen Weg zur Geister-Welt geschickt wurde, statt daß sie Durcs Tuch mit sich herumschleppte? Crozie hatte die Erinnerung an ihren Sohn irgendwann aufgegeben. Vielleicht wurde es für sie, Ayla, Zeit, auch Durc aufzugeben und einfach dankbar zu sein, daß er mehr war als nur eine Erinnerung.
»Ich habe etwas, ihn darin einzuhüllen«, sagte Ayla, eilte an ihren Schlafplatz und zog ganz unten aus einem Haufen Sachen eine zusammengelegte Lederhaut heraus und schüttelte sie aus. Noch einmal hielt sie das weiche und geschmeidige Leder vom Tragetuch ihres Sohnes an die Wange, schloß die Augen und erging sich in Erinnerungen. Dann kehrte sie zurück und reichte es Rydags Mutter.
»Hier hast du etwas, ihn darin einzuhüllen«, sagte sie zu Nezzie, »ein Umschlagtuch vom Clan. Einst hat es meinem Sohn gehört, doch jetzt wird es Rydag in der Geister-Welt helfen. Und vielen Dank, Crozie«, setzte sie noch hinzu.
»Warum dankst du mir?«
»Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast – und dafür, daß du mir gezeigt hast, daß Mütter irgendwann loslassen müssen.«
»Hmmmf!« machte die alte Frau und setzte eine strenge Miene auf; ihre Augen jedoch leuchteten warm auf. Nezzie nahm Ayla das Umschlagtuch ab und deckte Rydag damit zu.
Inzwischen war es dunkel geworden. Ayla hatte vorgehabt, im Zelt eine einfache Zeremonie abzuhalten, doch Nezzie bat sie, bis zum Morgen zu warten und sie im Freien abzuhalten, um allen, die zum Sommer-Treffen gekommen waren, kundzutun, daß Rydag ein Mensch war. Außerdem gewannen die Jäger damit etwas Zeit zur Heimkehr. Niemand wollte, daß Talut und Ranec bei Rydags Bestattung fehlten, doch allzu lange konnten sie nicht warten.
Am späten Vormittag des nächsten Tages trugen sie den Leichnam hinaus und legten ihn auf das Tragetuch. Viele Mamutoi hatten sich versammelt, aber es kamen immer noch mehr herbei. Es hatte sich herumgesprochen, daß Ayla für Rydag eine Flachschädel-Bestattung vorsah, und alle waren sie neugierig. Sie hatte die kleine Schale mit der roten Ockerpaste und das Amulett dabei und angefangen, die Geister herbeizurufen, auf daß sie an der Zeremonie teilnähmen; genauso hatte Creb es immer gemacht. Plötzlich kam Bewegung in die Menge. Zu Nezzies großer Erleichterung waren die Jäger zurückgekehrt, und zwar mit dem
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