Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
keineswegs leicht gewesen; und obwohl sie gelernt hatte, rasch etwas zu behalten – was Clan-Erinnerungen waren, hatte sie nie ganz begriffen. Dazu war keiner von den Anderen imstande; darin lag der grundlegende Unterschied zwischen ihnen und dem Clan.
Mit einem Gehirn ausgestattet, das womöglich größer war als das der Wesen, die nach ihnen kamen, war der Clan nicht eigentlich weniger intelligent als andere; vielmehr war er mit einer anderen Art von Intelligenz ausgestattet. Clan-Angehörige lernten aus Erinnerungen heraus, die in mancher Beziehung dem Instinkt ähnelten, nur daß sie etwas Bewußteres darstellten; im hinteren Teil ihres großen Gehirns war bei der Geburt alles gespeichert, was ihre Vorfahren wußten. Sie brauchten Wissen und Fertigkeiten, die sie instand setzten zu leben, nicht erst zu erwerben – sie erinnerten sich einfach. Kindern gleich, brauchten sie nur an das erinnert zu werden, was sie bereits wußten, um sich an den Vorgang zu gewöhnen. Als Erwachsene verstanden sie sich darauf, geschickt Gebrauch von ihren gespeicherten Erinnerungen zu machen.
Sich zu erinnern fiel ihnen gewissermaßen zu, doch Neues begriffen sie nur unter größten Mühen. Hatten sie jedoch einmal etwas Neues gelernt – eine neue Idee begriffen oder eine neue Überzeugung gewonnen –, vergaßen sie dies nie wieder und gaben es an ihre Nachkommenschaft weiter; nur, Lernen und Umdenken vollzogen sich sehr langsam. Iza hatte diesen Unterschied begriffen, als sie Ayla in die Kunst der Medizinfrau einweihte. Dies merkwürdige Mädchenkind konnte die Dinge bei weitem nicht so gut behalten wie Clan-Kinder; dafür aber hatte sie eine viel raschere Auffassungsgabe.
Rydag sagte etwas. Ayla verstand ihn nicht sofort. Dann erkannte sie es. Es war ihr Name! Ihr Name, kundgetan auf eine Weise, die ihr einst vertraut gewesen war – so wie ClanAngehörige ihn ausgedrückt hatten.
Gleich ihnen war auch dieses Kind keiner vollartikulierten Sprache fähig; es konnte zwar Vokale hervorbringen, doch war es ihm unmöglich, einige der wichtigen Laute auszustoßen, die nötig waren, um die Sprache der Menschen nachzumachen, bei denen er lebte. Es waren übrigens dieselben Laute, bei denen Ayla selbst mangels Übung Schwierigkeiten hatte. Eben diese Einengung oder Begrenzung des Stimmapparats des Clan und seiner Vorfahren war es, die sie dazu gebracht hatte, statt dessen eine reiche und umfassende, aus Gesten und Gebärden bestehende Sprache zu entwickeln, um Gedanken ihrer reichen und umfassenden Kultur auszudrücken. Rydag verstand die Anderen, die Leute, bei denen er lebte; er verstand das Konzept Sprache, konnte sich ihnen nur nicht verständlich machen.
Dann vollführte der Junge jene Geste, die er gestern abend Nezzie gegenüber gemacht hatte; er nannte Ayla ›Mutter‹. Ayla pochte das Herz bis zum Hals hinauf. Der letzte, der dieses Zeichen ihr gegenüber gemacht hatte, war ihr Sohn gewesen, und Rydag sah Durc so ähnlich, daß sie für einen Moment ihren Sohn in ihm sah. Sie wollte glauben, daß er Durc sei, und schmerzlich drängte sie alles, ihn hochzuheben, ihn in die Arme zu schließen und ihn bei seinem Namen zu nennen. Sie schloß die Augen und kämpfte so sehr gegen den Drang an, es zu tun, daß sie zitterte.
Als sie die Augen wieder aufmachte, beobachtete Rydag sie mit einem wissenden, uralten und sehnsüchtigen Blick, gleichsam als verstünde er sie und wüßte, daß sie ihn verstand. So sehr es sie auch danach verlangte – Rydag war nicht Durc. Er war genausowenig Durc, wie sie Deegie war. Er war er selbst. Als sie sich wieder in der Gewalt hatte, holte sie tief Atem.
»Möchtest du gern mehr Wörter lernen? Mehr Handzeichen, Rydag?« fragte sie ihn.
Er nickte nachdrücklich.
»Du erinnerst dich des ›Mutter‹-Zeichens von gestern abend …«
Er antwortete, indem er das Zeichen wiederholte, das Nezzie – und sie, Ayla – so tief gerührt hatte.
»Kennst du dies?« frage Ayla und machte die Grußgebärde vor. Sie sah, wie er mit etwas kämpfte, das er fast wußte. »Es ist eine Begrüßung. Es bedeutet ›Guten Morgen‹ oder ›Hallo‹. Und so geht das« – sie zeigte ihm die Gebärde noch einmal samt der von ihr gebrauchten Abwandlung –, »wenn jemand, der älter ist, mit einem Jüngeren spricht.«
Er runzelte die Stirn, vollführte dann die Geste und überraschte sie neuerlich mit seinem erschreckenden Grinsen. Er führte beide Gebärden aus, überlegte dann und machte eine dritte; dabei sah er sie fragend
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