Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Silhouette, die sich vor dem Licht von Fackeln abzeichnete. Nach einem scharfen Befehl betraten zwei Frauen den kleinen Raum, traten neben ihn, hoben ihn hoch und zogen ihn hinaus. Sie ließen ihn so fallen, daß er auf den Knien liegenblieb, noch immer mit gebundenen Händen und Füßen. Sein Kopf dröhnte wieder, und er lehnte sich unsicher gegen eine der Frauen. Sie stieß ihn fort.
Die Frau, die befohlen hatte, ihn hinauszuschaffen, sah ihn ein, zwei Augenblicke an, dann lachte sie. Es war ein harscher, mißtönender Laut. Jondalar fuhr unwillkürlich zusammen, und ein Gefühl von Furcht beschlich ihn. Sie sprach in hartem Ton ein paar Worte mit ihm. Er verstand sie nicht; aber er versuchte, sich aufzurichten und sie anzuschauen. Ihm wurde wieder schwindlig und begann zu schwanken. Die Frau zog die Brauen zusammen, bellte einige Befehle; dann drehte sie sich abrupt um und ging hinaus. Die Frauen, die ihn gehalten hatten, ließen ihn los und folgten ihr zusammen mit einigen anderen. Jondalar fielkraftlos zur Seite.
Er fühlte, wie die Fesseln an seinen Füßen durchschnitten wurden. Wasser wurde ihm in den Mund gegossen. Er verschluckte sich mehrmals, aber versuchte, soviel wie möglich davon zu trinken. Die Frau, die den Wasserbeutel hielt, äußerte verächtlich ein paar Worte; dann warf sie einem älteren Mann den Beutel zu. Er beugte sich nieder und hielt Jondalar den Wasserbeutel an die Lippen - nicht sanfter, aber mit mehr Geduld, so daß Jondalar besser schlucken und endlich seinen Durst stillen konnte.
Bevor er zu Ende getrunken hatte, spie die Frau ein Wort aus, und der Mann nahm das Wasser weg. Dann zog sie Jondalar auf die Füße. Er taumelte, als sie ihn vor sich her ins Freie hinausstieß, wo er sich inmitten einer Gruppe anderer Männer wiederfand. Es war kalt, aber niemand bot ihm eine Pelzjacke an oder befreite auch nur seine Hände, damit er sie aneinander reiben konnte.
Aber die kalte Luft belebte ihn, und er sah, daß einigen der anderen Männer die Hände ebenfalls auf dem Rücken gefesselt worden waren. Er nahm die Leute näher in Augenschein. Es waren Männer jeglichen Alters, von Jünglingen - tatsächlich eher Knaben - bis zu Greisen. Alle sahen abgemagert, schwach und verwahrlost aus. Ihr Haar war verfilzt, und sie trugen abgerissene, für die Jahreszeit viel zu dünne Kleider. Ein paar hatten unversorgte Wunden, voll von getrocknetem Blut und Schmutz.
Jondalar versuchte, mit dem Mann, der neben ihm stand, in Mamutoi zu sprechen; doch dieser schüttelte nur den Kopf. Jondalar glaubte, daß er ihn nicht verstanden hätte, und versuchte es mit Sharamudoi. Der Mann blickte rasch in eine andere Richtung, als eine Frau an sie herantrat. Sie trug einen Speer, den sie drohend gegen Jondalar richtete, und bellte einen scharfen Befehl. Er verstand die Worte nicht, doch ihre Geste war deutlich genug; und Jondalar fragte sich, ob der Mann nur deshalb nicht mit ihm geredet hatte, weil ihm die beiden Sprachen unbekannt waren, oder weil er nicht mit ihm reden durfte.
Mehrere Frauen mit Speeren umringten die Gruppe der Män-ner. Eine von ihnen rief einige Worte, und die Männer be-gannen, sich in Bewegung zu setzen. Jondalar benutzte die Gelegenheit, um sich umzuschauen und eine Vorstellung davon zu gewinnen, wo er sich eigentlich befand. Die Siedlung, die aus mehreren runden Hütten bestand, kam ihm fast vertraut vor; die Landschaft dagegen war ihm völlig fremd. Die Wohnstätten erinnerten ihn an die Erdhütten der Mamutoi. Sie schienen auf ähnliche Weise gebaut zu sein, wahrscheinlich unter Ver-wendung von Mammutknochen als Gerüst, das anschließend mit Stroh, Grassoden und Lehm verkleidet wurde.
Sie begannen, einen Hügel hinaufzugehen, der Jondalar gestattete, die weitere Umgebung zu überblicken. Sie bestand größtenteils aus Grassteppe oder Tundra - einer baumlosen Ebene mit gefrorenem Unterboden, der im Sommer auftaute und die Oberfläche in schwarzen Morast verwandelte. Auf der Tundra gediehen nur zwergwüchsige Kräuter, die jedoch im
Frühling eine bunte Blütenpracht entfalteten und Moschus-ochsen, Rentieren und anderen Lebewesen, die sie verdauen konnten, ausreichen Nahrung boten. Da und dort erstreckte sich ein Streifen von Taiga - niedrigwachsende immergrüne Bäume, so einheitlich in ihrer Höhe, daß sie aussahen, als sei ein gigantisches Schermesser über ihre Spitzen gefahren. Und das war auch der Fall: kalte Winde, die winzige Eisnadeln oder scharfen Lößsplitt vor sich
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