Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
manche von uns werden mit ernsthafteren Problemen geboren. Ich finde, du solltest dich dadurch nicht vom Leben abbringen lassen. Dein Gesicht sieht so schlimm nicht aus, und mit der Zeit werden die Narben verblassen und nicht mehr so deutlich zu sehen sein. Die Narben an deinen Händen und wahrscheinlich auch an den Armen sind schlimmer, aber du kannst deine Hände benutzen, oder?«
»Ein bisschen. Nicht so wie früher.«
»Auch das wird besser.«
»Woher weißt du so viel? Wer bist du?«, fragte die Frau.
»Ich bin Ayla von der Neunten Höhle der Zelandonii«, erwiderte sie und hielt der Frau die Hände zur förmlichen Begrüßung hin, während sie begann, ihre Namen und Zugehörigkeiten vorzutragen. »Gehilfin Derer, Die Die Erste Unter Denen Ist, Die Der Großen Erdmutter Dienen ...« Sie nannte ihre üblichen Namen und Zugehörigkeiten, nur um etwas zu sagen. Sie schloss ab mit »Freundin der Pferde Winnie, Renner und Grau und des vierbeinigen Jägers Wolf. Ich grüße dich im Namen von Doni, Der Großen Mutter Allen Lebens.«
»Du bist die Gehilfin der Ersten? Ihre Erste Gehilfin?«, fragte die Frau und vergaß einen Moment lang ihre Manieren.
»Ihre einzige Gehilfin, obwohl ihr früherer Gehilfe uns ebenfalls begleitet. Er ist jetzt Zelandoni der Neunzehnten Höhle«, antwortete Ayla. »Wir sind hier, um uns eure heilige Stätte anzusehen.«
Plötzlich wurde der Frau klar, dass sie die Arme ausstrecken und die Hände dieser jungen Frau ergreifen musste, um sich selbst in aller Form der Gehilfin der Ersten vorzustellen, die offensichtlich weit gereist und so angesehen war. Wegen solcher Begrüßungen hatte sie unter anderem nicht zum Sommertreffen gehen wollen. Sie würde nicht nur ihr Gesicht, sondern auch die verbrannten Hände jedem zeigen müssen, dem sie vorgestellt wurde. Sie senkte den Kopf und überlegte, ob sie die Hände nicht unter der Decke verbergen und sagen sollte, sie sei nicht in der Lage, die Gehilfin zu begrüßen, doch die junge Frau mit den seltsamen Namen hatte bereits ihre Hand berührt und wusste, dass es nicht stimmte. Schließlich holte sie tief Luft, schob die Decke beiseite und streckte ihre schlimm verbrannten Hände aus.
»Ich bin Dulana von der Vierten Höhle der SüdlandZelandonii«, sagte sie und begann, ihre Namen und Zugehörigkeiten vorzutragen.
Ayla hielt Dulanas Hände fest und konzentrierte sich darauf. Sie waren steif, die Haut war gespannt und an manchen Stellen wulstig. Wahrscheinlich hatte sie auch noch Schmerzen, dachte Ayla.
»... im Namen von Doni heiße ich dich willkommen, Ayla von der Neunten Höhle der Zelandonii.«
»Tun deine Hände noch weh, Dulana?«, fragte Ayla. »Da würde ein Tee aus Weidenrinde bestimmt helfen. Ich habe welchen dabei, wenn du ihn haben möchtest.«
»Ich habe welchen von unserem Zelandoni bekommen, aber ich wusste nicht, ob ich ihn weiter nehmen soll«, sagte Dulana.
»Wenn du noch Schmerzen hast, dann ja. Er hält auch Hitze und Röte fern. Und mir fällt gerade ein, dass du dir aus weichen Häuten, Kaninchenfellen vielleicht, ein Paar Fäustlinge anfertigen könntest, allerdings mit Fingern. Wenn du dann Leute triffst, bemerken sie wahrscheinlich nicht, dass deine Hände ein wenig rau sind. Und hast du etwas reinen weißen Talg? Ich kann dir eine Salbe zubereiten. Vielleicht etwas Bienenwachs beigeben und Rosenblüten, damit es gut riecht. Beides habe ich dabei. Du kannst sie tagsüber auftragen, auch unter deinen Fingerfäustlingen. Du kannst dein Gesicht damit einreiben, um die Brandnarben weicher zu machen, bis sie verblassen.« Während Ayla sprach, überlegte sie, wie der Frau sonst noch zu helfen war.
Plötzlich fing Dulana an zu weinen. »Was ist los, Dulana?«, fragte Ayla. »Habe ich dich verärgert?«
»Nein, nur hat mir zum ersten Mal jemand Hoffnung gemacht«, schluchzte Dulana. »Ich hatte das Gefühl, mein Leben wäre zerstört, alles hätte sich verändert und nichts wäre mehr so wie früher, aber du nimmst die Verbrennungen und die Narben leicht und sagst, niemandem werden sie auffallen, und all diese Mittel können helfen. Unser Zelandoni versucht es, aber er ist so jung, und das Heilen ist nicht seine Stärke.« Die junge Frau hielt inne und schaute Ayla direkt an. »Ich glaube, ich weiß, warum die Erste dich als Gehilfin ausgewählt hat, auch wenn du nicht bei den Zelandonii geboren wurdest. Sie ist die Erste, und du bist die Erste Gehilfin. Soll ich dich so nennen?«
Ayla schenkte ihr ein etwas schiefes Lächeln.
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