Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
hierherführte, darauf reagierten. »Wollt ihr noch mehr sehen?«
Ayla warf ihr nur einen Blick zu und lächelte, aber es war das strahlendste Lächeln, das die Wächterin je erlebt hatte. Sie ist wirklich eine schöne Frau, dachte sie sich. Ich kann verstehen, warum Jondalar sich zu ihr hingezogen fühlt.
Nachdem Ayla die Pferde gebührend betrachtet hatte, konnte sie sich nun Zeit für den Rest nehmen, und es gab noch viel mehr zu entdecken. Die drei Auerochsen links von den Pferden, die mit den kleinen Nashörnern zu verschmelzen schienen, ein Hirsch, und unter ihnen sich gegenüberstehende Nashörner, ein Auerochse und ein Wisent mit vielen Beinen.
»Sieh dir das durchgehende Wisent an«, rief Ayla. »Es läuft wirklich und atmet schwer, und die Löwen«, fügte sie hinzu, zuerst lächelnd, bevor sie laut auflachte.
»Was ist daran so lustig?«, fragte Jondalar.
»Siehst du diese beiden Löwen? Das Weibchen, das sich hinsetzt, ist rollig, und das Männchen hat großes Interesse, aber sie nicht. Mit ihm will sie keine Wonnen teilen, also setzt sie sich und lässt ihn nicht an sich heran. Der Künstler, der sie geschaffen hat, war sehr begabt, man sieht die Verachtung in ihrem Gesicht, obwohl das Männchen groß und stark auszusehen versucht. Siehst du, wie es die Zähne bleckt? Er weiß, dass sie meint, er wäre nicht gut genug für sie, und hat ein wenig Angst vor ihr«, erklärte Ayla. »Wie bringt ein Künstler das zustande? Wie kann er den Ausdruck so genau treffen?«
»Woher weißt du das alles?«, fragte die Wächterin. Diese Erklärung war ihr völlig neu, erschien ihr aber ungemein zutreffend. Die Löwin hatte tatsächlich diesen Gesichtsausdruck.
»Als ich mir selbst das Jagen beibrachte, habe ich sie beobachtet«, erzählte Ayla.
Die Wächterin begann erneut zu summen, und Jonokol stimmte viele harmonische Töne dazu an. Die Erste bereitete sich darauf vor, mitzusingen, als Ayla aus der Nische trat.
»Die Löwen haben mir am besten gefallen. Ich glaube, der zurückgewiesene Löwe würde ungefähr so klingen«, sagte sie, baute das einleitende Knurren auf und ließ ein gewaltiges Brüllen los. Es hallte vom Fels der Höhle wider bis ans Ende der Passage vor ihnen, dann hinaus in die Kammer mit dem Bärenschädel.
Die Wächterin sprang aufgeschreckt und ein wenig verängstigt zurück. »Wie macht sie das?« Sie warf der Ersten und Willamar einen ungläubigen Blick zu.
Die beiden nickten nur. »Sie überrascht uns immer wieder«, sagte Willamar, als Ayla und Jondalar weitergingen.
Die Wächterin trat an eine Öffnung auf der rechten Seite, die zu einem Durchgang führte, der so schmal war, dass sie ihn nur hintereinander betreten konnten. Rechts befand sich ein vollständiger Riesenhirsch in Schwarz, zu erkennen an dem Höcker auf dem Widerrist, dem kleinen Kopf und dem stämmigen Hals. Ayla fragte sich, warum diese Künstler sie ohne Geweih zeigten, denn das war in ihren Augen das Typische an ihnen.
Eine Reihe von Herdfeuern entlang des Korridors weckte ebenfalls Aylas Interesse. Wahrscheinlich waren sie dazu benutzt wurden, um die für die Zeichnungen benötigte Holzkohle herzustellen. Die Feuer hatten die Wände ringsum geschwärzt. Waren es die Herdfeuer der Alten, der Künstler, von denen all die unglaublichen Bilder und Ritzzeichnungen in dieser prächtigen Höhle stammten? Das verlieh ihnen etwas Wirkliches, sie erschienen dadurch wie Menschen, nicht wie Geister aus einer anderen Welt. Der Boden fiel nach unten ab, und in seinem Verlauf gab es drei plötzliche Stufen von mehr als einem Meter Höhe. In der Mitte des Korridors befanden sich mit Fingern erstellte Ritzzeichnungen statt schwarzer Bilder. Kurz vor der zweiten Stufe waren drei Schamdreiecke mit einer Scheidenspalte an dem nach unten weisenden Ende zu sehen, zwei auf der linken, eins auf der rechten Seite.
Die Erste ermüdete allmählich, doch sie wusste, dass sie diesen Ausflug nie wieder unternehmen würde, und selbst wenn, würde sie die langen Gänge dieser Höhle nicht zurücklegen können. Jonokol und Jondalar nahmen die Erste zwischen sich und halfen ihr über die Stufen und die besonders steilen Abschnitte des Korridors.
Die langen zu Fuß zurückgelegten Strecken während der Reise hatten Zelandonis Gesundheit gefördert, doch Ayla war Heilerin genug, um zu wissen, dass die Erste nicht mehr so wohlauf und kräftig war wie in ihrer Jugend. Sie war fest entschlossen, diese ganz besondere Höhle noch einmal vollständig zu
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