Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
schlimm. Es hat eine besondere Bedeutung ...«
»Ich weiß, was es heißt«, sagte das Mädchen. »Es heißt, dass du jetzt eine Zelandoni bist.«
»Das stimmt, Jonayla.«
»Jonde hat mir gesagt, dass du nicht mehr so oft fort sein wirst, wenn du erst mal das Zelandoni-Zeichen hast. Stimmt das, Mutter?«
Ayla war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihrer Tochter gefehlt hatte, und Dankbarkeit erfüllte sie, dass Jondalar zur Stelle gewesen war, die Kleine versorgt und ihr alles erklärt hatte. Sie umarmte das Kind. »Ja, das stimmt. Manchmal werde ich zwar immer noch fortmüssen, aber nicht mehr so oft.«
Vielleicht hatte Jondalar sie ja auch vermisst. Aber warum hatte er sich Marona zuwenden müssen? Er hatte Ayla seiner Liebe versichert, selbst nachdem sie die beiden miteinander entdeckt hatte, aber wenn das stimmte, weshalb hielt er sich dann jetzt von ihr fern?
»Warum weinst du, Mutter?«, fragte Jonayla. »Tut das Zeichen auch bestimmt nicht weh? Es ist ganz rot.«
»Ich freue mich nur so, dich zu sehen, Jonayla.« Sie ließ das Kind los und lächelte unter Tränen. »Jetzt hätte ich fast vergessen, dir zu sagen, dass wir heute Abend zum Essen ins Lanzadonii-Lager gehen.«
»Mit Dalanar und Bokovan?«
»Genau, und mit Echozar und Joplaya und Jerika und allen anderen.«
»Kommt Jonde auch mit?«
»Das weiß ich nicht, aber ich glaube nicht. Er muss woanders hin.« Abrupt wandte Ayla sich ab und durchsuchte Jonaylas Kleiderkorb. Ihre Tochter sollte sie nicht wieder weinen sehen. »Wenn es dunkel ist, wird es kalt, möchtest du dir etwas Wärmeres anziehen?«
»Darf ich die neue Tunika tragen, die Folara mir geschenkt hat?«
»Das ist eine gute Idee, Jonayla.«
A uf den ersten Blick glaubte Ayla, es wäre Jondalar dort in der Ferne, der mit einem Kind im Arm über den ausgetretenen Hauptpfad zwischen den Lagern mehrerer befreundeter Höhlen auf sie zukam. Ihr Magen verkrampfte sich, so vertraut waren ihr die Größe, die Gestalt, der Gang. Doch als der Mann noch näher kam, stellte sie fest, dass es Dalanar war, mit Bokovan auf dem Arm.
Dalanar fielen die schwarzen Zeichen auf ihrer Stirn sofort auf. Ayla sah ihm seine Überraschung an, dann seinen Versuch, ihre Stirn nicht anzustarren, und da erst fiel ihr die Tätowierung wieder ein. Sie sah sie nicht und vergaß sie deshalb einfach.
Ist das der Grund, weshalb Jondalar sich so merkwürdig verhält?, fragte Dalanar sich. Als er Jondalar aufgefordert hatte, zusammen mit Ayla und Jonayla zum Essen zu den Lanzadonii zu kommen, hatte er zu Dalanars Überraschung erst gezögert und dann abgelehnt. Er behauptete, er habe bereits andere Pläne, hatte aber bekümmert und verlegen gewirkt. Als suchte er nach einer Ausrede, am Abend nicht dabei sein zu müssen. Dalanar erinnerte sich an seine eigenen Gründe, warum er eine geliebte Frau verlassen hatte. Aber der alte Mann hatte nie den Eindruck gehabt, dass es Jondalar störte, wenn Ayla eine Zelandoni würde. Vielmehr hatte er immer stolz von ihren Heilkünsten gesprochen und sehr zufrieden damit gewirkt, Feuerstein zu bearbeiten und seine Lehrburschen auszubilden.
»Darf ich dich eine Weile tragen, Bokovan? Und Dalanar eine Pause gönnen?« Lächelnd streckte Ayla die Arme nach dem Kleinen aus. Er zögerte, dann streckte auch er die Arme aus. Mit Bokovan auf dem Arm ging sie dann neben Dalanar, der Jonayla an der Hand hielt, auf das LanzadoniiLager zu. Wolf folgte ihnen.
Mittlerweile schien es das Tier gar nicht mehr zu stören, durch eine große Ansammlung von Menschen zu laufen, und auch die Leute kümmerten sich kaum noch um ihn. Allerdings war Ayla aufgefallen, dass es den Zelandonii großes Vergnügen bereitete, die Reaktion von Besuchern und Fremden zu beobachten, die nicht daran gewöhnt waren, dass sich ein Wolf ungehindert zwischen Menschen bewegte.
Als sie ankamen, wurde Ayla von Joplaya und Jerika begrüßt. Auch die beiden Frauen blickten überrascht und bemühten sich mit wenig Erfolg, die neuen Zeichen auf ihrer Stirn zu übersehen. Die wunderschöne, dunkelhaarige junge Frau, die Jondalar Kusine nannte, umgab immer noch eine leichte Aura der Trauer, doch Ayla sah, dass ihre leuchtend grünen Augen liebevoll strahlten, als sie ihren Sohn auf den Arm nahm. Joplaya wirkte weniger angespannt. Allem Anschein nach nahm sie ihr Leben jetzt besser an und freute sich wirklich, Ayla zu sehen.
Auch Jerika begrüßte sie herzlich. »Lass mich Bokovan nehmen«, sagte sie dann und hob ihn vom Arm seiner Mutter.
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