Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
als nur unter der Übelkeit vom >Morgen danach<. Das wird schwerwiegende Folgen haben, sei dir gewiss.« Sosehr die Erste sich bemühte, sie kannte nicht alle Menschen persönlich, die sich versammelt hatten. Zumindest gab die Kleidung einen Hinweis darauf, woher sie stammten, ebenso wie die Perlen und Gürtel und anderen Beigaben, die sie trugen. Dieser junge Mann war von der Fünften Höhle und mit dem dortigen Zelandoni verwandt. Sie kleideten sich für gewöhnlich auffälliger als die Angehörigen der meisten anderen Höhlen, schließlich waren sie bekannt dafür, dass sie Perlen herstellten und damit handelten. Außerdem saß der junge Mann so weit vorne, dass sie ihn gut sehen konnte.
»Aber ich glaube, ich weiß, wie es ihm ging.« Jemoral wollte nicht lockerlassen. »Was, wenn ich will, dass das Kind meiner Gefährtin von mir ist?«
»Ja«, stimmte ein anderer zu. »Was dann?«
»Was, wenn ich will, dass die Kinder meines Herdfeuers wirklich meine Kinder sind?«, fragte ein Dritter.
Zelandoni wartete, bis sich der Aufruhr ein wenig gelegt hatte, ließ den Blick wieder über die Versammelten schweifen und stellte fest, dass die meisten Kommentare zu diesem Thema aus der Fünften Höhle kamen. Sie fixierte die ganze Gruppe mit einem strengen Blick.
»Du willst, dass die Kinder deines Herdfeuers deine sind, Jemoral«, sagte sie und sah den jungen Mann direkt an. »Meinst du, so wie deine Kleidung, dein Werkzeug, deine Perlen? Du willst sie besitzen?«
»Nein, äh, nein. Das, äh, so habe ich es nicht gemeint«, stotterte er.
»Das zu hören freut mich, denn Kinder kann man nicht besitzen. Sie gehören weder dir noch deiner Gefährtin. Niemand kann sie besitzen. Wir haben Kinder, um sie zu lieben, zu umsorgen, zu ernähren und zu lehren, wie die Große Mutter es für uns tut, und das kannst du tun, gleichgültig, ob sie von deinem Lebenssaft oder dem eines anderen Mannes stammen. Wir alle sind Kinder der Großen Erdmutter, wir lernen von ihr. Denk daran, wie es im Lied von der Mutter heißt:
Als sie Frau und Mann hervorgebracht, Die Erde sie ihnen als Heimstatt vermacht, Land und Wasser und alles, was darin enthalten, Es sorgsam zu nutzen und klug zu verwalten.
Die Erde zu hegen. Und treu zu pflegen.
Mehrere Zelandonia stimmten in die letzte Zeile ein und sangen dann weiter:
Als die Kinder der Erde das Nötigste haben, Beschließt die Mutter, den übrigen Gaben Die Gabe der Wonnen hinzuzufügen, Damit sie sie ehren durch ihr Vergnügen. Die Gabe ist wert, wer die Mutter ehrt.
»Sie ernährt uns, versorgt uns, lehrt uns, und zum Dank für ihre Gaben ehren wir sie«, erklärte die Eine, Die Die Erste Ist. »Donis Gabe der Kenntnis des Lebens wurde uns nicht gegeben, damit du die Kinder, die deinem Herdfeuer geboren werden, besitzen und für dich beanspruchen kannst.« Sie ließ den Blick fest auf den jungen Männern der Fünften Höhle ruhen. »Wir erhielten die Gabe, damit wir wissen, dass nicht allein die Frauen von Doni gesegnet sind. Männer haben einen Zweck, der gleichbedeutend ist mit dem der Frau. Es gibt die Männer nicht nur, damit sie die Frauen und ihre Kinder versorgen und unterstützen, Männer sind auch notwendig. Ohne Männer würde es keine Kinder geben. Genügt das nicht? Müssen eure Kinder die euren sein? Müsst ihr sie besitzen?«
Die jungen Männer sahen sich betreten an. Dennoch war Zelandoni nicht sicher, ob sie wirklich begriffen hatten, was sie sagen wollte. Dann meldete sich eine junge Frau zu Wort.
»Was ist mit früher? Wir kennen unsere Mütter und Großmütter. Ich bin die Tochter meiner Mutter, aber was ist mit den Männern?«
Die junge Frau kam Zelandoni nicht sogleich bekannt vor, dennoch versuchte sie rasch, sie einzuordnen. Sie saß bei der Dreiundzwanzigsten Höhle, und den Mustern auf ihrer Tunika und ihrer Kette nach zu schließen, gehörte sie auch zu der Höhle, stammte nicht von einer anderen und saß bei Freunden. Sie trug die Kleidung einer Frau und nicht eines Mädchens, obwohl sie unverkennbar noch sehr jung war. Vermutlich hat sie gerade ihre Ersten Riten gefeiert, dachte die Donier. Wenn sich eine derart junge Frau in einer großen Menge zu Wort meldete, deutete es darauf hin, dass sie entweder selbstbewusst und impulsiv war oder auch, dass sie mit Menschen zusammenlebte, die ihre Meinung kundtaten, was auf eine Führungsposition hindeutete. Die Anführerin der Dreiundzwanzigsten Höhle war eine Frau, Dinara. Zelandoni erinnerte sich, dass Dinaras älteste
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