Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
schwächlich, und seine Mutter war eine Clan-Frau. Sie starb bald nach der Niederkunft, aber Nezzie erwähnte nie etwas von einer schwierigen Geburt. Ich glaube nicht, dass sie an deren Folgen starb. Ich vermute, sie war vom Clan verstoßen worden und wollte nicht weiterleben, vor allem, weil sie glauben musste, ihr Kind wäre missgestaltet. Brukevals Mutter war eine erste Mischung, und ihre Mutter war eine der Anderen. Sie war so schwach, dass sie bei seiner Geburt starb. Ob Brukeval es zugeben will oder nicht, er weiß, was mit seiner Großmutter passiert ist, deshalb hat er bei der Versammlung auch die Bedeutung von der Kenntnis des Lebens so schnell verstanden. Hat er sich wohl jemals gefragt, ob die Schwäche seiner Mutter auf die Mischung zurückzuführen war?
Ich sollte es Brukeval nicht verdenken, dass er den Clan hasst. Er hatte keine Mutter, die ihn liebte und ihn tröstete, wenn die Leute ihn verspotteten, weil er anders aussah. Für Durc war es auch schwierig. Er unterschied sich äußerlich genug vom Clan, dass sie ihn für missgebildet hielten, und einige wollten ihn nicht überleben lassen, aber zumindest hatte er Menschen, die ihn liebten. Ich hätte achtsamer mit Brukevals Gefühlen umgehen sollen. Ich bin mir immer sicher, dass ich Recht habe, und werfe anderen Leuten vor, wenn sie die Menschen des Clans Flachschädel und Tiere nennen. Ich weiß, dass das nicht stimmt, aber die meisten Leute kennen sie nicht so gut wie ich. Es ist meine Schuld, dass Brukeval davongelaufen ist. Ich kann verstehen, dass er mich hasst.
Ayla stand auf, sie wollte nicht mehr drinnen sitzen. In der fensterlosen Behausung war es düster, die blakende Lampe spendete kaum noch Licht. Ayla wollte ins Freie und etwas tun, anstatt nur über ihre Unzulänglichkeiten zu grübeln. Sie trat vor die Unterkunft, schaute sich um und sah mit Verwunderung Madroman im Eilschritt näher kommen. Als er sie bemerkte, warf er ihr einen derart bösen Blick zu, dass sich ihr die Haare im Nacken sträubten und ein kalter Schauer unheilvoller Vorahnung sie überlief.
Ohne innezuhalten stürmte er weiter. Ayla sah ihm nach. Irgendetwas an ihm ist anders, dachte sie. Dann wurde ihr klar, dass er nicht mehr wie ein Gehilfe gekleidet war, aber seine Kleidung kam ihr eigenartig bekannt vor. Angestrengt überlegte sie, dann fiel es ihr ein. Das sind die Muster der Neunten Höhle! Aber er gehört doch zur Fünften Höhle! Weshalb trägt er dann Kleidung der Neunten? Und wohin geht er in solcher Eile?
Und der Blick, den er mir zugeworfen hat. Beim bloßen Gedanken daran schauderte Ayla wieder. Voller Hass. Warum sollte er mich derart hassen? Und warum trägt er nicht mehr die Kleidung eines Gehilfen? - ach! Plötzlich wurde Ayla klar, was passiert war. Zelandoni muss ihm gesagt haben, dass er kein Gehilfe mehr sein darf. Gibt er mir die Schuld daran? Aber er hat doch gelogen, warum sollte er mir die Schuld geben? Wegen Jondalar kann es nicht sein. Er hat Madroman zwar verprügelt, aber das war vor langer Zeit und noch dazu wegen Zelandoni, nicht meinetwegen. Hasst er mich, weil ich seinen Tragebeutel in der Höhle gefunden habe? Aber womöglich hasst er mich, weil er nie ein Zelandoni sein wird und ich gerade zu einer ernannt wurde.
Damit sind es also zwei, die mich hassen, Madroman und Brukeval, dachte Ayla. Drei, wenn ich Laramar hinzuzähle. Auch er muss mich hassen. Als er schließlich zu sich kam, sagte er, wenn es ihm wieder gut genug ginge, um die Hütte der Zelandonia zu verlassen, wolle er nicht zur Neunten Höhle zurückkehren, und sie hatten eingewilligt. Ich bin froh, dass die Fünfte Höhle sich bereiterklärt hat, ihn aufzunehmen. Ich habe seinen Hass verdient. Es ist meine Schuld, dass Jondalar ihn so schlimm verprügelt hat. Jondalar hasst mich jetzt vermutlich auch. In ihrem Unglück glaubte Ayla allmählich, alle verabscheuten sie.
Sie schritt schneller aus, ohne darauf zu achten, wohin sie ging. Erst ein leises Wiehern veranlasste sie aufzuschauen, und sie stellte fest, dass sie bei der Umfriedung der Pferde angelangt war. In den vergangenen Tagen war sie so beschäftigt gewesen, dass sie die Pferde kaum gesehen hatte, und als sie das freundliche Wiehern ihrer falben Stute hörte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie kletterte über den Zaun und legte die Arme um den kräftigen Hals ihrer alten Freundin.
»Ach, Winnie! Ich freue mich so, dich zu sehen«, sagte sie in der merkwürdigen Sprache, die sie der Stute gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher