Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
und deine Mutter aufwecken soll«, sagte Danug.
»Aber Mutter und Jonde haben nicht mehr viel miteinander geredet. Vielleicht will er gar nicht.« Besorgt verzog Jonayla das Gesicht. Dabei sah sie genauso aus wie Jondalar, wenn er die Stirn runzelte, dachte Danug.
»Da mach dir keine Sorgen, Jonayla. Jondalar liebt deine Mutter sehr, und sie liebt ihn. Wenn er wüsste, dass es ihr nicht gutgeht, würde er wie der Blitz herlaufen. Das weiß ich«, sagte Danug.
»Wenn er sie liebt, warum redet er dann nicht mit ihr, Danug?«
»Weil man manchmal jemanden zwar sehr lieben kann, ihn aber trotzdem nicht versteht. Manchmal versteht man sich ja selbst nicht. Sagst du Wolf, dass er Jondalar suchen soll?«
»Wolf, komm zu mir.« Das Mädchen nahm den großen, schweren Kopf des Tieres zwischen ihre kleinen Hände, genauso, wie ihre Mutter es tun würde. Sie sah ihr dabei derart ähnlich, dass Danug ein Lächeln unterdrücken musste. Er war nicht der Einzige. »Wolf, Mutter ist krank, und Jondalar muss kommen und ihr helfen. Du musst ihn suchen.« Sie deutete mit beiden Händen zum Hauptfluss. »Such Jondalar, Wolf. Geh und such Jondalar.«
Der Wolf hörte diesen Befehl nicht zum ersten Mal. Wolf und Ayla hatten schon einmal Jondalars Spur folgen müssen, als dieser auf der Großen Reise von Attaroas Jägerinnen gefangen genommen wurde. Das Raubtier fuhr Jonayla mit der Zunge übers Gesicht und trabte in Richtung Hauptfluss.
Kurz blieb er stehen und wollte zu ihr zurückkehren, doch sie wiederholte: »Geh, Wolf! Such Jondalar!« Er schaute zu Danug, der ihm folgte, und lief weiter, mit der Nase immer am Boden schnuppernd.
Nach seinem Zusammentreffen mit Ayla konnte Jondalar gar nicht schnell genug vom Lagerplatz fortkommen. Als er dann stromaufwärts am Hauptfluss entlangging, wollte es ihm nicht mehr aus dem Kopf. Beinahe hätte er sie in die Arme geschlossen. Er hatte sich so danach gesehnt. Warum hatte er es nicht getan? Wäre sie wütend geworden? Hätte sie ihn weggestoßen? Oder doch nicht? Sie hatte so überrascht gewirkt, regelrecht entsetzt sogar, aber war er nicht ebenso überrascht gewesen?
Warum hatte er sie nicht umarmt? Was hätte denn im schlimmsten Fall passieren können? Wenn sie ihn wütend von sich gestoßen hätte, wäre dann jetzt irgendetwas schlimmer, als es ohnehin war? Zumindest wüsste er dann, dass sie ihn nicht mehr wollte. Du willst es gar nicht wissen, musste er sich eingestehen. Aber so wie jetzt kann es nicht weitergehen. Hat sie nicht geweint, als sie weggelaufen ist? Oder habe ich mir das nur eingebildet? Warum sollte sie denn weinen? Weil sie unglücklich ist, natürlich. Aber weswegen sollte sie unglücklich sein? Weil sie mich gesehen hat? Warum sollte sie das unglücklich machen? Sie liebt mich nicht mehr, aber warum hat sie dann geweint?
Bei seinen Wanderungen am Fluss entlang hatte sich Jondalar sonst etwa zu der Zeit, wenn die Sonne den Scheitelpunkt erreichte, auf den Rückweg gemacht. Doch an diesem Tag war er derart mit seinen Gedanken beschäftigt, ging jede Einzelheit, an die er sich erinnerte oder zu erinnern glaubte, immer wieder durch, so dass er weder merkte, wie die Zeit verging, noch wie hoch die Sonne schon am Himmel stand.
Danug schritt schnell aus, um mit Wolf mitzuhalten, und fragte sich allmählich, ob das Tier wirklich auf der richtigen Fährte war. Konnte Jondalar tatsächlich so weit gewandert sein? Die Mittagszeit war längst vorüber, ehe Danug kurz anhielt, um einen Schluck Wasser zu trinken. Eben richtete er sich am Flussufer auf, als er glaubte, in weiter Ferne, entlang eines relativ geraden Abschnitts im mäandernden Flusslauf, eine Menschengestalt zu sehen. Er beschattete die Augen, konnte aber über eine sanfte Biegung im Gewässer hinaus nichts mehr erkennen. Der Wolf war während seiner kurzen Rast vorausgeeilt und außer Sichtweise geraten. Danug hoffte, ihn bald einzuholen, und schritt noch schneller aus.
Eine Bewegung im Strauchwerk beim Ufer riss Jondalar schließlich aus seinen quälenden Gedanken. Er schaute genauer hin und bemerkte die Bewegung erneut. Ein Wolf! Lauert er mir auf?, fragte er sich und wollte nach seiner Speerschleuder greifen. Aber er hatte weder Speer noch Schleuder dabei. Hastig suchte er den Boden nach einer Waffe ab, einem kräftigen Ast, einem großen abgefallenen Geweih oder einem Stein, irgendeinem Gegenstand, um sich zu verteidigen, doch als das Raubtier schließlich seine Deckung verließ und ihn ansprang, konnte er nur
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