Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
sah einen Moment sich selbst und Jondalar umgeben von Lampen auf einer Schlafstatt liegen. Dann war sie in einer kalten, klammen Hülle gefangen. Mühsam versuchte sie, sich zu bewegen, aber ihre Gliedmaßen waren zu steif, ihr war zu kalt. Schließlich flatterten ihre Lider. Sie schlug die Augen auf und blickte in das tränenüberströmte Gesicht des Mannes, den sie liebte, und einen Moment später spürte sie die warme Zunge des Wolfs, der sie ableckte.
»Ayla! Ayla! Du bist wieder da! Zelandoni! Sie ist wach! Ach, Doni, Große Mutter, ich danke dir! Ich danke dir, dass du sie mir zurückgegeben hast.« Schluchzend rang Jondalar nach Luft. Er hielt Ayla in seinen Armen, weinte vor Erleichterung und Liebe, fürchtete, sie zu fest an sich zu drücken, hatte Angst, ihr wehzutun, wollte sie nie wieder loslassen. Und sie wollte nicht, dass er sie losließ.
Schließlich löste er seine Umarmung, damit die Donier Ayla untersuchen konnte. »Hinunter mit dir, Wolf.« Jondalar schubste das Tier an den Rand der Schlafstatt. »Du hast ihr geholfen, aber jetzt musst du Zelandoni zu ihr lassen.« Der Wolf sprang auf den Boden, behielt sie aber alle im Auge.
Die Erste Unter Denen, Die Der Mutter Dienen, beugte sich über Ayla und blickte in ihre geöffneten graublauen Augen. Vor Verwunderung schüttelte sie den Kopf. »Das hätte ich nie für möglich gehalten. Ich war überzeugt, dass sie fort war, dass sie für immer an einem unerreichbaren Ort verschwunden war, wo nicht einmal ich sie noch finden konnte, um sie zur Mutter zu führen. Ich fürchtete, dass auch das Singen nichts nutzte und nichts sie noch retten konnte. Ich bezweifelte, dass irgendetwas sie zurückbringen würde, nicht die inständigsten Hoffnungen meinerseits, nicht die Wünsche aller Zelandonii, nicht einmal deine Liebe, Jondalar. Auch mit vereinten Kräften wäre den Zelandonia nicht gelungen, was du geschafft hast. Fast bin ich bereit zu glauben, dass du sie aus Donis tiefster Unterwelt hättest zurückholen können. Ich habe immer gesagt, dass die Große Erdmutter dir keinen Wunsch abschlägt. Ich glaube, das ist der Beweis dafür.«
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Lager des Sommertreffens. Jondalar hatte sie zurückgeholt. Jondalar hatte geschafft, was den Zelandonia nicht gelungen war. Auf dem ganzen Sommertreffen war keine Frau, die sich nicht wünschte, ebenso geliebt zu werden; und kein Mann, der sich nicht wünschte, eine Frau zu kennen, die er derart lieben könnte. Schon entstanden Geschichten, die in den kommenden Jahren an Herdfeuern und auf Festen erzählt würden, Geschichten von Jondalars Liebe, die so groß war, dass sie Ayla von den Toten zurückholte.
Jondalar dachte über Zelandonis Bemerkung nach. Das hatte sie ihm schon früher gesagt, auch wenn er nicht genau wusste, was es bedeutete. Allerdings bereitete es ihm ein leichtes Unbehagen zu hören, er stehe so hoch in der Gunst der Mutter, dass keine Frau sich ihm verweigern konnte, nicht einmal Doni selbst; so sehr, dass er die Mutter um alles bitten könnte, sie würde ihm jeden Wunsch erfüllen. Er war auch gewarnt worden, achtsam mit seinen Wünschen zu sein, gerade weil sie ihm erfüllt würden, obwohl er auch das nicht richtig begriff.
Die ersten Tage war Ayla völlig erschöpft, konnte sich vor Schwäche kaum bewegen, und die Donier fragte sich, ob sie wohl je wieder richtig zu Kräften kommen würde. Ayla schlief sehr viel, manchmal derart reglos, dass sie kaum zu atmen schien, und ihr Schlaf war nicht immer erholsam. Bisweilen fiel sie in eine Art Delirium, wälzte sich von einer Seite auf die andere, sprach laut vor sich hin, aber sobald sie die Augen öffnete, war Jondalar bei ihr. Seit sie zurückgekehrt war, hatte er sie nur allein gelassen, um den wichtigsten Bedürfnissen nachzukommen. Er schlief auf seinen Fellen, die er neben ihrer Schlafstatt auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Wenn Aylas Genesung wieder ins Stocken geriet, fragte Zelandoni sich, ob Jondalar nicht der einzige Grund war, weshalb sie an der Welt der Lebenden festhielt. Und das stimmte auch, er sowie Aylas angeborener Überlebenswille und ihr durch die jahrelange Jagd und die ständige Bewegung abgehärteter Körper halfen ihr, die verstörendsten Erfahrungen zu überwinden, selbst solche, die sie an den Rand des Todes gebracht hatten.
Auch Wolf blieb die meiste Zeit bei ihr und konnte den Moment ihres Aufwachens offenbar vorausahnen. Nachdem Jondalar ihm abgewöhnt hatte, auf
Weitere Kostenlose Bücher