Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
aber sie ist ziemlich lang. Eine interessante Grotte«, erwiderte Jonokol.
»Glaubst du, dass sie heilig ist?«, fragte sie.
»Ja, auf jeden Fall.«
Die Erste nickte. Zwar hatte sie den Zelandoni der Sechsundzwanzigsten Höhle nicht in Zweifel gezogen, aber eine unterstützende Meinung war immer gut.
»Und Ayla hat ihre Stimme gefunden«, fügte Jonokol hinzu. Er lächelte Ayla an, die das Gespräch verfolgte und sich unbewusst vor und zurück wiegte, während sie ihr Kind stillte.
»Tatsächlich?«
»Ja.« Jonokol lächelte immer noch. »Der Sechsundzwanzigste bat sie, die Grotte zu prüfen, und war überrascht, als sie sagte, sie könne weder singen noch Flöte spielen. Sein Gehilfe Falithan trillert in den höchsten Tönen, was ganz eigentümlich klingt. Dann fielen mir plötzlich Aylas Vogelrufe ein, und ich erinnerte sie daran, dass sie wie ein Vogel pfeifen, wie ein Pferd wiehern und sogar wie ein Löwe brüllen kann. Das hat sie dann getan. Der Sechsundzwanzigste war sehr verblüfft, vor allem von dem Brüllen. Ihre Prüfung hat der Grotte Gestalt verliehen. Als das Brüllen zurückhallte, klang es gedämpft, aber gut hörbar, schien jedoch von einem sehr fernen Ort zu kommen. Aus der anderen Welt.«
»Wie fandest du es, Ayla?«, fragte die Erste, schenkte einen Becher Tee ein und gab ihn Jonokol, damit er ihn an Ayla weiterreichte. Sie hatte bemerkt, dass der Säugling während des Stillens in Aylas Armen eingeschlafen war.
»Der Zugang zur Grotte ist schwierig, und sie ist lang, jedoch nicht unübersichtlich. Sie könnte beängstigend sein, vor allem an den sehr engen Stellen, aber verlaufen kann man sich darin nicht«, antwortete Ayla.
»Nach dem, wie ihr diese neue Grotte beschreibt, erscheint sie mir besonders geeignet für junge Gehilfen, die sich prüfen und herausfinden möchten, ob sie tatsächlich das Leben eines Zelandoni führen wollen. Wenn sie Angst vor engen, dunklen Orten haben, die keine echte Gefahr darstellen, bezweifle ich, ob sie mit anderen Prüfungen fertigwerden, die wirklich gefährlich sein können«, verkündete die Frau, Die Die Erste Ist.
Ayla überlegte im Stillen, um welche Art Prüfungen es sich da wohl handeln mochte. Sie war in ihrem Leben schon genug riskanten Situationen ausgesetzt gewesen und wusste nicht so recht, ob sie weitere durchmachen wollte, doch vielleicht sollte sie zunächst abwarten, was da von ihr verlangt wurde.
Die Sonne stand noch tief am östlichen Himmel, aber ein strahlendes rotes Band, das an den Rändern in Purpur überging, kündigte den neuen Tag an. Ein leichtes Rosa hob die dünne Wolkenbank am westlichen Horizont hervor, ein Abglanz der Rückseite des glühenden Sonnenaufgangs. Trotz der frühen Morgenzeit hatten sich schon fast alle auf dem Hauptlagerplatz eingefunden. Mehrere Tage lang hatte es immer wieder geregnet, aber der heutige Tag sah vielversprechender aus. Wenn es regnete, war das Lagerleben gerade erträglich, niemals erfreulich.
»Sobald die Ersten Riten und die Hochzeitszeremonien beendet sind, möchte die Zelandoni auf Reisen gehen«, sagte Ayla und blickte zu Jondalar auf. »Sie möchte meine Donier-Reise mit einigen der näher gelegenen heiligen Stätten beginnen. Wir müssen für sie noch den Sitz auf der Schleiftrage anfertigen.« Sie hatten die Pferde versorgt und kehrten zur Morgenmahlzeit auf dem Hauptlagerplatz zurück. Wolf war mit ihnen gekommen, hatte sich ablenken lassen und war in einem Gebüsch verschwunden. Jondalar runzelte die Stirn. »So ein Ausflug könnte interessant sein, aber einige haben davon geredet, nach den Feierlichkeiten eine große Jagd zu veranstalten. Vielleicht um eine Sommerherde aufzustöbern, damit wir Fleisch für den nächsten Winter trocknen können. Joharran hat davon gesprochen, wie nützlich die Pferde sein können, um Tiere in Pferche zu treiben. Ich glaube, er rechnet mit unserer Hilfe. Wie sollen wir uns entscheiden?«
»Wenn sie sich nicht allzu weit entfernen will, können wir vielleicht beides bewerkstelligen«, erwiderte Ayla. Gerne wollte sie mit der Ersten heilige Stätten besuchen, sie liebte aber auch die Jagd.
»Schon möglich«, meinte Jondalar. »Wir könnten sowohl mit Joharran als auch mit Zelandoni sprechen und sie beide entscheiden lassen. Aber die Schleiftrage für Zelandoni sollten wir auf jeden Fall anfertigen. Als wir die Sommerhütte für Bologan, Lanoga und den Rest dieser Familie gebaut haben, sind mir ein paar Bäume aufgefallen, die wir dafür benutzen
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