Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
könnten.«
»Wann sollen wir es denn machen?«
»Heute noch, denke ich. Ich frage mal herum, ob uns noch jemand helfen kann.«
»Seid gegrüßt, Ayla und Jondalar«, ließ sich eine vertraute junge Stimme vernehmen. Sie gehörte Lanogas jüngerer Schwester, der neunjährigen Trelara.
Beide drehten sich um und sahen die sechs Kinder aus ihrer Sommerhütte kommen. Bologan band die Eingangsklappe zu und holte die anderen dann ein. Weder Tremeda noch Laramar waren bei ihnen. Ayla wusste, dass die Erwachsenen die Hütte manchmal benutzten, aber entweder waren sie schon gegangen oder, was wahrscheinlicher war, in der Nacht zuvor nicht zurückgekommen. Die Kinder waren vermutlich auf dem Weg zum Hauptlagerplatz in der Hoffnung, dort etwas zu essen zu finden. Oft wurde zu viel zubereitet, und für gewöhnlich war jemand bereit, ihnen Reste zu geben. Möglicherweise nicht gerade die schmackhaftesten Happen, aber meistens wurde ihr Hunger gestillt.
»Seid gegrüßt, Kinder«, antwortete Ayla.
Bis auf Bologan, der versuchte, sich ernsthafter zu geben, lächelten sie alle. Als sie die Familie kennenlernte, hatte Ayla mitbekommen, dass Bologan, der Älteste, so oft wie möglich fortging und sich lieber bei anderen Jungen aufhielt, vorzugsweise den rauflustigeren. In letzter Zeit hatte sie jedoch den Eindruck gewonnen, dass er sich gegenüber den jüngeren Kindern verantwortlicher zeigte, vor allem gegenüber seinem siebenjährigen Bruder Lavogan. Außerdem hatte sie ihn vor kurzem öfter mit Lanidar zusammen gesehen, was sie für ein gutes Zeichen hielt. Etwas schüchtern schloss Bologan zu Jondalar auf.
»Sei gegrüßt, Jondalar«, sagte er und blickte auf seine
Füße, bevor er dem Mann in die Augen schaute.
»Sei gegrüßt, Bologan.« Jondalar überlegte, warum der
Junge ihn wohl angesprochen hatte.
»Kann ich dich etwas fragen?«, sagte Bologan.
»Aber gewiss.«
Der Junge griff in eine taschenartige Falte seiner Tunika
und zog einen vielfarbigen Mannbarkeitsgürtel heraus. »Zelandoni hat gestern mit mir gesprochen und mir den hier
gegeben. Sie hat mir gezeigt, wie man ihn bindet, aber ich
bekomme es nicht richtig hin.«
Nun ja, er ist jetzt dreizehn, dachte Ayla und unterdrückte
ein Lächeln. Er hatte Jondalar nicht direkt um Hilfe gebeten, aber der hochgewachsene Mann wusste, was der Junge
wollte. Normalerweise gab der Mann des Herdfeuers einem
Jungen den Mannbarkeitsgürtel, für gewöhnlich von dessen
Mutter angefertigt. Bologan bat Jondalar, die Stelle des
Mannes einzunehmen, der für ihn hätte da sein sollen. Jondalar zeigte dem jungen Mann, wie man den Gürtel
band, dann rief Bologan seinen Bruder und lief mit ihm
zum Hauptlagerplatz los. Die anderen folgten langsamer. Während sie ihnen nachsah, spürte sie, wie sich Jonayla
in ihrer Tragedecke bewegte und aufwachte. Nachdem sie
die Decke von ihrem Rücken nach vorne gezogen hatte,
nahm sie die Kleine heraus. Jonayla war nackt, ohne die
sonst übliche Schicht aus saugfähigen Flechten und Moosen. Ayla hielt sie vor sich, während die Kleine auf den Boden machte. Jondalar lächelte. Die anderen Frauen machten es nicht so, und als er Ayla danach fragte, erzählte sie
ihm, dass die Clan-Mütter ihre Kinder auch oft auf diese
Weise abhielten. Sie tat es nicht immer, aber es ersparte
ihr, das Kind säubern und etwas Geeignetes sammeln zu
müssen, das Flüssigkeit aufnahm. Und Jonayla gewöhnte
sich mit der Zeit so daran, dass sie meist wartete, bis sie
ausgepackt war, bevor sie es laufen ließ.
»Glaubst du, dass Lanidar immer noch an Lanoga interessiert ist?«, fragte Jondalar.
»Jedenfalls hat er sie warmherzig angelächelt, als er sie in
diesem Jahr wiedersah«, antwortete Ayla. »Wie macht er
sich mit der Speerschleuder? Für mich wirkte es so, als hätte er mit seinem linken Arm geübt.«
»Er ist richtig gut!«, erwiderte Jondalar. »Ihm zuzuschauen, ist verblüffend. Auch mit dem rechten Arm kann er ein wenig machen und benutzt ihn, um den Speer in die Schleuder einzulegen, wirft aber mit großer Kraft und Genauigkeit mit dem linken Arm. Er ist ein recht guter Jäger geworden, hat sich den Respekt seiner Höhle erworben und auch mehr Ansehen erlangt. Jetzt betrachtet ihn jeder bei diesem Sommertreffen mit anderen Augen. Selbst der Mann seines Herdfeuers, der Lanidars Mutter nach der Geburt verließ, hat sich ihm zugewandt. Und seine Mutter und Großmutter beharren nicht mehr darauf, dass er dauernd mit ihnen zum Beerensammeln und auf Nahrungssuche
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