einmal zu bemerken, daß ihre Gaucho-Eltern sich über die zertrampelte Lichtung davonmachten – genau wie Melvin gesagt hatte. Und schließlich gab es keinen wirklichen Grund, warum Noelle nicht in das Buschwerk eindringen sollte.
»Ich glaube nicht, daß wir verschwinden werden«, sagte sie. »Wir kommen bloß auf die nächste Schneise.«
»Bist du schon dort gewesen?«
»Eigentlich nicht.«
»Woher weißt du’s dann? Wenn wir vom Kriegspfad abirren, geraten wir in den undurchdringlichen Regenwald.«
Jedenfalls wußte Noelle es. Sie hatte eine präzise Vorstellung davon, wie es auf der anderen Seite der Büsche aussah. Sie hatte sie immer schon gehabt. Sie mußte einmal dort gewesen sein, obwohl sie sich an die Umstände nicht zu erinnern vermochte.
»Es ist unmöglich, in diesen Wäldern zu verschwinden«, sagte sie. »Oder in einem der anderen Wälder in der Gegend.«
Melvin hatte in der Absicht, ihnen einen Pfad zu hacken und zu schlagen, erneut das Messer hervorgeholt.
»So dicht ist es nicht«, sagte Noelle. »So viel Aufwand ist gar nicht nötig. Man könnte fast in Abendgarderobe durchkommen.« So war sie es also, die voranging, obwohl das Ganze Melvins Idee gewesen war, während er die Sache eher von der handwerklichen Seite her in Angriff nahm. Erwartungsgemäß hatte sie das Dickicht in etwa neunzig Sekunden durchquert und befand sich auf der nächsten Schneise. Wie sie erwartet hatte, war es dort still und beruhigend, frei von Abfall, weil frei von Wegen. Die Bäume wuchsen höher und würdevoller. Etwas wie natürliche Architektur, etwas Geheimnisvolles herrschte hier. Blattwerk verhüllte den Himmel, Moos den Boden.
Das Moos war so dicht und so offensichtlich jungfräulich, daß es unter den speziellen Umständen des Augenblicks anzüglich wirkte. Noelle watete förmlich hindurch und überquerte dabei die Schneise. Die Kinder mochten eine Zeitlang außer Reichweite ihrer Eltern sein, sie löste sich eilends aus Melvins Reichweite, der weiter hinter ihr zurückgeblieben war, als sich in Metern ausdrücken ließ. Sie vernahm nicht einmal mehr seine Holzfäller-Übungen, vielleicht weil sie nicht sonderlich darauf achtete.
Sie trat zwischen die Bäume auf der anderen Seite der Schneise; sie waren nicht im mindesten überwältigend und entsprachen samt und sonders gänzlich normalen Größenverhältnissen. Sie war sicher, daß sie nie zuvor weiter vorgedrungen war, und sie war sich dessen sehr deutlich bewußt. Sie hatte keine Vorstellung, auf was sie stoßen würde, obwohl sie ganz genau wußte, wie klein ihr Spielraum war. Ihre Flucht war eine Sache des Augenblicks und der Diplomatie.
Sie blieb stehen. Sie war bereits am Ende der Welt angekommen, schneller noch, als sie erwartet hatte. Es war markiert durch ein Drahtgewirr vieler verschiedener Arten und Sorten von Draht, ausgespannt zwischen verfaulten, schiefen Pfählen, von Bohrasseln umkrochen.
Da stand ein Haus in Fachwerkbauweise, jedoch ohne Strohdach. Die ziemlich großen Fenster hatten allesamt rautenförmige Scheiben. Ein schräges Gebilde aus Kunststein ragte über dem Gartentor auf. Manche Einzelheit erinnerte an ein Kloster. Eine sehr sauber geschnittene, großblättrige Hecke verlief rund um den rechteckigen Garten, in dem jedes Detail perfekt ausgeführt war. Die Hecke war so niedrig, daß Noelle an der Stelle, wo sie parallel zum Drahtgewirr an der Grenze zur Welt verlief, einen Blick darüber werfen konnte.
In einem der Gartenbeete hob ein Mann eine Grube aus. Zu diesem Zweck war eine größere Menge Blumen herausgehoben worden, die nun einsam und verlassen auf dem Gras lagen. Eigentlich hätte man das neue Gebilde eher als Furche denn als Grube ansprechen können.
Der Mann war in Hosenträgern und trug Schlips und Kragen, als agierte er aus einem spontanen Impuls heraus. Es handelte sich um ein elegantes Seidenhemd und eine Moiré-Krawatte. Er war die einzig sichtbare Gestalt, nur ein Tier wieselte rastlos in einem kleinen Käfig beim Haus hin und her. Der Mann konzentrierte sich auf seine Arbeit, und ein paar Minuten vergingen, bevor überhaupt in Frage kam, daß er aufblicken mochte.
Soweit es Noelle betraf, war es auch gar nicht nötig, daß er aufblickte. Sie wußte genau, um wen es sich handelte. Wenn die Drähte vor ihr straff gespannt statt veheddert gewesen wären, hätte sie nach ihnen gegriffen und sich daran geklammert.
Es war ihr zu keiner Zeit in den Sinn gekommen, daß John Morley-Wingfield in so enger
Weitere Kostenlose Bücher