eine Formalität war. Sicherlich haben Sie gedacht, daß ich zur alten Jungfer geboren bin – wie so viele englische Frauen es trotz aller Beschönigungen und Entschuldigungen noch immer sind. Ob ich nun so bin oder nicht, es war meine Unfähigkeit zu schlafen, die meine Ehe zerstörte. Die Ehe, jedenfalls in ihrer üblichen Form, gehört zu den Dingen, die durch die Schlaflosigkeit unmöglich gemacht werden. Eines von vielen wichtigen Dingen.«
»Das kann ich mir einigermaßen vorstellen«, sagte Margaret. »Aber ich finde es noch immer ganz unglaublich. Ich bin froh, sagen zu können, daß ich selbst immer gut geschlafen habe, wobei ich allerdings immer etwas besorgt war, daß es anders sein könnte. Aber ich habe natürlich Menschen gekannt, bei denen das nicht so war. Ich sehe ein, wie schlimm es für sie sein muß, aber doch nicht ganz so schlimm, wie Sie sagen. Da bin ich sicher.«
»Das ist die übliche Reaktion«, erwiderte Mrs. Slater nach wie vor in aller Gelassenheit. »Oder wenigstens die übliche erste Reaktion. Die Antwort ist, daß diejenigen, die Sie gekannt haben, in Wirklichkeit gar keine Schlaflosen waren. Es handelte sich bloß um Leute, die von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten hatten, so viel zu schlafen, wie sie gern wollten oder zu müssen meinten. Das mag mit der Psyche des einzelnen, mit zeitweiligem Streß oder auch nur mit der Verdauung zusammenhängen. Aber in der überwiegenden Mehrzahl solcher Fälle hat es einfach damit zu tun, daß der Mensch in Wirklichkeit nicht so viel Schlaf braucht, wie er glaubt – oder, was häufiger ist, wie er will. Die Leute wollen schlafen, so wie sie Liebe wollen oder das, was sie Zerstreuung nennen, oder sogar den Tod. Rein biologisch gesehen schlafen die meisten Leute viel mehr als unbedingt erforderlich wäre, doppelt so viel oder noch mehr.« Margaret fühlte sich nach ihren Eingeständnissen und unter Mrs. Slaters schulmeisterlichem Blick wie auf der Anklagebank.
»Die Menge Schlaf, die notwendig ist, um Giftstoffe aus der Blutbahn zu eliminieren, ist weit geringer, als die meisten glauben wollen«, fuhr Mrs. Slater fort. Sie unterbrach sich. »Sie wissen doch, daß genau das die physiologische Funktion des Schlafs ist?« fragte sie.
»Ich glaube, ich habe das auf der Schule gelernt«, sagte Margaret, die der Unterhaltung zusehends weniger folgte und immer deutlicher eine Bedrohung verspürte, ohne imstande zu sein, wegzuhören oder auch nur weitere Fragen zu unterlassen, wie leer ihr Magen auch sein mochte.
»Wie bereits gesagt, ist physiologisch weit weniger Schlaf erforderlich, als man glauben möchte. Tatsächlich ist es ohne weiteres möglich, die Giftstoffe zu eliminieren, ohne überhaupt zu schlafen. Einige Menschen, einige wenige , sind so beschaffen.«
Margaret hatte sich in der Sicherheit ihres zuverlässigen Schlafvermögens und allem übrigen, das damit zusammenhing, und um die biologischen Hintergründe so wenig geschert, daß sie dem nichts entgegenzusetzen hatte.
»Das«, sagte Mrs. Slater, »ist die Not des wahren Schlaflosen. Er ist jemand, der stets nur ein geringes Schlafbedürfnis hat – oder gar keins.«
»Das könnte doch auch gewisse Vorteile haben«, sagte Margaret.
»Das ist häufig die zweite Reaktion«, entgegnete Mrs. Slater. »Es gibt keine Vorteile, jedenfalls nicht nach den Begriffen der Außenwelt. Der Mensch, der im Wortsinn nicht schlafen kann, ist eine Art Troll, wie man hier sagt. Das Leben ist so beschaffen, daß nur ein Troll es ohne Schlaf ertragen kann. Den Schläfern bleibt nichts anderes übrig, als uns zu vertreiben.«
»Ich habe das Wort schon mal gehört, aber ich habe nie ganz verstanden, was ein Troll eigentlich ist.«
»Das sind diejenigen, die ausgeschlossen sind. Die Unheimlichen und Geheimnisvollen, wie die Leute sagen«, erwiderte Mrs. Slater. Aus ihren Worten schien ein Anflug von Genugtuung zu sprechen.
»Ist der Verlust des Schlafs denn so verhängnisvoll?«
»Sogar die gewöhnlichsten Menschen taumeln ihr Leben lang auf einem schmalen Grat zwischen Gut und Böse; zwischen Trieb und Urteilskraft, wie wir sagen würden. Schlaf gibt der normalen Person zweierlei: Er verschafft ihr dauerhafte und lange Phasen des Aufschubs von diesem Konflikt. Er gestattet ihren Trieben, eine gewisse Befriedigung im Traum zu finden, vor allem den höchst unerlaubten. Sie haben doch zweifellos Träume dieser Art, Mrs. Sawyer?«
»Manchmal«, sagte Margaret.
Ȇberlegen Sie einmal, welch ein Leben jemand
Weitere Kostenlose Bücher