0001 - Im Nachtclub der Vampire
Anweisung hin ein Phantombild angefertigt. Und damit waren die Vampirinnen in Soho unterwegs.
Sie zeigten das Bild Diskothekenbesitzern, Rockern und Gammlern. Überall nur Kopfschütteln. Sie weiteten ihren Bezirk aus, gingen zu den Taxiständen und erkundigten sich auch dort.
Und bei einem hatten sie Glück.
Es war Mona, die den richtigen Fahrer fragte. Er hatte noch Dienst. Ein Kollege war ausgefallen, und der Mann wollte sich die lohnende Tagschicht nicht entgehen lassen.
Als Mona kam, aß er gerade einen Sandwich.
»Ja, die kenne ich«, sagte er und nickte bestätigend.
Zwei Kollegen schlenderten herbei und blickten ebenfalls auf das Bild, um danach aber die blondhaarige Mona anzustarren, die bei der Hitze eine bunte, weit ausgeschnittene Bluse und einen leichten Rock trug, der einiges von ihren Beinen zeigte.
»Wo haben Sie das Mädchen gesehen?« hakte Mona nach.
»Ich habe sie gefahren.«
»Wann?«
Der Driver spie ein Stück Wurstpelle aus. »Sagen Sie mal, schöne Maid, warum interessiert Sie das eigentlich? Was ist denn mit der Kleinen los?«
Für solche Fragen hatte Mona eine Ausrede parat. »Sie ist von zu Hause ausgerissen, und jetzt weiß ich nicht, wo sie wohnt. Ich bin ihre Schwester.«
Der Fahrer nickte. »Ach so, ja. Ich habe sie in die Berners Street gefahren. Hausnummer neunzig oder zweiundneunzig.«
»Danke«, sagte Mona lächelnd, »Sie haben mir wirklich sehr geholfen.«
Die blondhaarige Mona sah im Moment nicht aus wie ein Vampir. Die Verwandlung begann erst abends. Tagsüber liefen die Schwestern als normale Menschen herum.
»He«, rief einer der anderen Fahrer Mona nach. »Wie war’s? Wollen wir nicht mal ‘ne Tour zusammen machen?«
Mona drehte sich um. Sie lächelte falsch und gurrte: »Du würdest dich wundern, Junge.«
Dann ging sie weiter. Jetzt, wo sie die Adresse hatte, konnte nichts mehr schiefgehen.
Die Zeugin war reif!
***
Die Fahrt zur Westminster Bridge führte an geschichtsträchtigen Stätten vorbei. John steuerte den Wagen langsam zur Westminster Abbey mit dem wuchtigen Big Ben, der größten Uhr der Welt. Bevor sie auf die Brücke fuhren, zeigte John nach rechts.
»Sehen Sie aus dem Fenster, Marina. Dort liegen die Houses of Parlament, Sitz des englischen Parlaments.«
Marina nickte. Sie genoß die Fahrt in John Sinclairs silbermetallicfarbenem Bentley. John fuhr bewußt etwas langsamer, als sie die Brücke überquerten. Linker Hand erhob sich die altehrwürdige County Hall, rechts lag das St-Thomas-Hospital, aus dem auch Blutkonserven gestohlen worden waren.
Auf der Themse herrschte reger Betrieb. Schwere Containerschiffe liefen die großen Kais an, um be- und entladen zu werden. Touristenboote, hell angestrichen und fröhlich beflaggt, zerschnitten mit ihren spitzen Bugen die Wellen.
Über die York Road fuhren sie weiter, vorbei an dem großen Bahnhof, der Waterloo Station, der nur von innerbritischen Zügen angelaufen wird. Über die Stamford Street ging es weiter nach Southwark hinein.
Sie hatten jetzt ein ärmliches Viertel erreicht. Hier, südlich der Themse, wohnten meist Hafenarbeiter sowie Farbige aus Afrika oder Asien. Häufig kam es zu Spannungen, die in blutigen Gewalttaten gipfelten. Der Polizist, der in diesem Bezirk seinen Dienst tat, hatte es schwer, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Marina Held betrachtete die schmutzigen Hausfassaden und die zahlreichen Kinder, die auf den Bürgersteigen spielten. »Hier soll ein Barbesitzer wohnen?« meinte sie zweifelnd.
John nickte. »Kommt mir auch komisch vor«, gab er zu. »Aber ich glaube, daß wir den Fall nicht mit normalen Maßstäben messen können.«
Die Straße, in der Morton Hendricks wohnte, war nicht auf dem normalen Stadtplan verzeichnet, so klein war sie. John mußte eine Spezialkarte zur Hand nehmen, um die Adresse zu suchen.
Er fand sie in der Nähe der Union School. Nicht mehr als eine Gasse, und leicht geschwungen.
Den Wagen ließ John am Schulhof stehen. In dieser ärmlichen Gegend wirkte der Bentley wie ein UFO am Piccadilly Circus.
Marina und er stiegen aus.
Es war sehr heiß geworden. John Sinclair trug trotzdem ein Jackett. Nicht jeder sollte sehen können, daß er mit einer Waffe herumlief. Das konnte leicht zu Komplikationen führen.
Die Menschen saßen vor den Häusern. Verhärmt aussehende Frauen mit strähnigen Haaren. Sie hockten da, rauchten, und starrten den Menschen nach, die an ihnen vorbeigingen. Aber auch Männer lungerten herum. Die Jugendlichen waren
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