0004 - Götterdämmerung
flüchtete schließlich unter einem angenommenen Namen nach Europa, um den Nachforschungen neugieriger Wissenschaftler zu entgehen. In aller Stille bildete sie sich aus, bis sie mit ihrer reinen Willenskraft die Materie beherrschte.
Nun war sie 26 Jahre alt, denn sie wurde an jenem Tag geboren, da die erste Atombombe über Hiroshima detonierte.
Sie lebte wieder in Richmond bei ihren Eltern, von ihren Mitmenschen geachtet und insgeheim gefürchtet, aber der Präsident höchstpersönlich garantierte für ihre Sicherheit. Und dazu hatte er seine Gründe.
Anne saß gerade auf der Veranda und nahm ein Sonnenbad, als die beiden konservativ gekleideten Herren an der Haustür schellten und Mrs. Sloane baten, ihre Tochter sprechen zu dürfen. Es war nicht das erstemal, daß derartige Besucher kamen. Man sah ihnen auf hundert Schritte an, daß sie zum Geheimdienst gehörten. Doch diesmal war einiges anders. Der Wagen, mit dem sie gekommen waren, stand auf der stillen Nebenstraße vor dem Haus. Dicht dahinter parkte ein zweiter Wagen, in dem vier Männer saßen. Sie hatten nichtssagende Gesichter, nur ihre Augen waren auffällig wachsam. Sie ließen das Haus, in dem die beiden Herren verschwunden waren, nicht aus ihrem Blickfeld.
Auch sah Mrs. Sloane sofort, daß ihre beiden Besucher nicht die üblichen Agenten waren. Die Selbstsicherheit die von ihnen ausstrahlte, verriet Autorität und Macht. Ganz bestimmt waren es hohe Beamte des Geheimdienstes.
„Wir möchten Miß Anne Sloane sprechen", sagte der eine von ihnen, ein kleingewachsener und jung scheinender Mann mit bereits schütterem Haar, das wie ein goldener Kranz die kahle Schädelmitte umrahmte. Die weißen Schläfen erhöhten den friedfertigen Eindruck. „Es handelt sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit."
„Ich kann es mir denken", erwiderte Mrs. Sloane, an derartige Besuche gewöhnt. „Ein neuer Auftrag im Namen der Regierung. Wir haben das zu vermeiden versucht, aber leider …"
„Die Freiheit der ganzen westlichen Welt ist wichtiger als die Bequemlichkeit des einzelnen Individuums", sagte der Mann feierlich. „Es handelt sich wirklich um eine äußerst dringliche Angelegenheit."
„Meine Tochter ist auf der Veranda. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihr."
Der zweite Besucher wirkte älter. Aber auch seine äußere Erscheinung strahlte soviel Wohlwollen und Jovialität aus, daß man am liebsten sofort „Onkel" zu ihm gesagt hätte. Er nickte Mrs. Sloane freundlich zu und folgte seinem Kollegen.
Anne sah unwillig auf, als ihre Mutter die beiden Herren ankündigte. Aber als sie in die freundlichen und doch so bestimmten Augen ihrer Besucher blickte, schmolz ihr Widerstand dahin. Sie fühlte instinktiv, es nicht mit gewöhnlichen Agenten zu tun zu haben.
„Ich habe recht lange Ruhe vor Ihnen gehabt", bemerkte sie leichthin und zeigte auf zwei Gartenstühle, die neben einem Tisch ständen. „Setzen Sie sich und erzählen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.
Mutter, du holst den Herren vielleicht eine Erfrischung."
Sie erwartete keine Vorstellung, denn ihre geheimnisvollen Besucher hießen stets Smith, Miller oder Johnson. Schon oft hatte sie mit ihren Fähigkeiten dem FBI oder Abwehrorganisationen einen Dienst erweisen können. Als Gegenleistung genoß sie den Schutz der Regierung.
Der jüngere Mann mit dem goldenen Haarkranz zog sich den Stuhl heran und streckte Anne die Hand entgegen.
„Ich bin Allan D. Mercant, wenn Ihnen der Name etwas sagen sollte. Chef der International Intelligence Agency. Darf ich Ihnen Colonel Kaats vorstellen, den Chef der Inneren Abwehr, einer Sonderabteilung der Bundeskriminalpolizei...?"
Anne kniff die Augen mißtrauisch zusammen. „Freut mich, Sie kennenzulernen, meine Herren, aber es ist doch sehr ungewöhnlich, daß ausgerechnet Sie sich bemühen..."
„Es ist uns im Gegenteil ein außerordentliches Vergnügen, unsere bewährte Mitarbeiterin endlich einmal persönlich kennenzulernen. Wir haben schon viel von Ihnen gehört."
Mercant setzte sich und wählte seinen Platz so, daß er Anne in die Augen blicken konnte. Kaats ließ sich dicht neben ihm nieder. Er betrachtete das Mädchen wohlwollend.
„Sie werden sich allerdings denken können, daß wir nicht zum bloßen Vergnügen gekommen sind."
„Allerdings", nickte sie.
„Eine schwere Pflicht zwingt uns dazu", bemerkte Kaats mit einem traurigen Lächeln. „Wir benötigen Ihre Hilfe."
„Ich dachte es mir." Anne sah hinauf in den blauen Himmel und fragte
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