001 - Der Gott aus dem Eis
fieberfreie Stunden. Meistens morgens nach fürchterlichen Alptraumnächten. Er lag dann stundenlang wach und grübelte über hundert Fragen nach.
Fragen, auf die er keine Antwort finden konnte.
Zum Beispiel: Wo steckten die Besatzungen der anderen beiden Jets? Was war aus ihnen geworden? Aus Jensen, Williams und Chester, aus McKenzie und Smythe?
Er fragte sich auch, wo die Hitzewelle geblieben war, die dem Kometeneinschlag hätte folgen müssen. Und wo die Staubwolke, die jetzt eigentlich die Atmosphäre derart verdunkeln müsste, dass man Tag und Nacht nicht unterscheiden konnte.
Am häufigsten aber fragte er sich, wo um alles in der Welt er gelandet sein mochte, was das für eigenartige Typen waren, die ihn gerettet hatten. Figuren, die Matt mehr in einen Bildband über die letzte Eiszeit zu passen schienen als ins einundzwanzigste Jahrhundert. Menschen, die so gar nicht den Eindruck machten, als wäre das Antlitz ihrer Welt erst vor ein paar Tagen durch einen Kometen nachhaltig zerstört worden.
Und er zermarterte sich das Hirn darüber, ob die Riesenratten, die er von seinem havarierten Jet aus gesehen hatte, Halluzination oder Wirklichkeit gewesen waren.
Tagelang, nächtelang rotierte dieses hitzige; schwindelerregende Karussell in seinem schmerzenden Schädel.
Manchmal, wenn er die Augen öffnete, sah er in Aruulas Gesicht. Ein schönes, ebenmäßiges Gesicht. Ihre braunen Augen strahlten Ruhe aus. Das Lächeln um ihren Mund vertrieb für kurze Zeit all die quälenden Fragen.
Und wenn ihre Hand das Pflanzenbreipflasterauf seiner Stirn erneuerte und ihm danach sanft über das Haar strich, oder wenn sie ihm bitter schmeckende Tropfen einflößte und danach ihre Hände für Sekunden auf seinen Wangen liegen ließ, dann strömte jedesmal Erleichterung durch Matts Glieder. Und das Gefühl, alles könnte noch einmal gut werden.
Wenn sie sich nur nicht ständig vor ihm verneigen würde…
Sie nannte ihn »Maddrax«.Alle, die zu ihm in die Hütte kamen und sich vor ihm verneigten, nannten ihn so. Als könnten sie seinen richtigen Namen nicht ausreichend akzentuieren.
In manchen Stunden, wenn das Fieber so schnell und so hoch stieg, dass Matts Knie schlotterten und er mit den Zähnen klapperte, überfielen ihn die Bilder der vergangenen Tage und Wochen. Dann sah er sich wieder im Büro des Geschwaderkommandanten auf der neuen Luftwaffenbasis in Berlin Köpenick. Dann hörte er den Major sagen: »Unsere letzte Chance die Interkontinental Raketen. In zwei Stunden werden sie auf ›Christopher Floyd‹ einschlagen. Fliegen Sie mit einer kleinen Staffel hinauf, Commander, und beobachten sie die Wirkung. Die Professoren Smythe und MacKenzie werden sie begleiten.«
Er sah sich und die anderen fünf das Hangar betreten, die Helme unter den Armen. Alle wirkten ernst und blass. Sogar das schwarze Gesicht Irvin Chesters hatte an diesem Tag die Farbe alten Milchkaffees.
Prof. Dr. Jacob Smythe war der einzige, der überhaupt sprach.
»Kopf hoch, Kinder!« rief er launig.
»Wir werden das verdammte Ding schon knacken und wenn nicht, immer daran denken: Unkraut vergeht nicht…«
Solche und ähnliche Sprüche. Der Astrophysiker verfügte über das Einfühlungsvermögen eines Presslufthammers. Niemals würde Matthew sein meckerndes Lachen vergessen. Sein kurzes knochiges Gesicht geisterte genauso hartnäckig durch Matts Fieberträume wie die glühende Faust »Christopher Floyds«.
Er hatte das Gesicht mit der kleinen stumpfen Nase und den unnatürlich großen Glubschaugen zum ersten Mal im Fernsehen gesehen.
Drei Wochen nach Entdeckung des Kometen hatte Jacob Smythe den Fernsehnationen der Welt per Computeranimation vor Augen geführt, was der Einschlag eines Großen Auslöschers für Konsequenzen haben würde: Druckwelle, Flutwellen, Verdunkelung der Atmosphäre, Eiszeit, Milliarden von Toten und so weiter und so weiter.
Wenn nicht gleich die ganze Erde in Stücke ging…
Ein knappes halbes Jahr war das her. Schon damals hatte Matt den Mann instinktiv abgelehnt.
Schnell war Smythe zum Chefberater des US Präsidenten in Sachen »Christopher Floyd« aufgestiegen. Zuletzt sah man ihn fast täglich im Fernsehen.
In seinen Fieberträumen erlebte Matt die erste persönliche Begegnung mit dem Professor noch einmal. Einen Monat vor ihrem gemeinsamen Einsatz war es gewesen.
Der General der US Air Force in Europa hatte ihn zu einem Briefing nach Brüssel ins NATO Hauptquartier abkommandiert. Hohe NATO Offiziere und
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