0011 - Das Todesschloß
Ihre Gegenwart würde ihm den Aufenthalt erträglich machen.
Die Gestalt schritt aus, als wäre sie den Weg schon immer gegangen. Widerspenstiges Unterholz kratzte an seinen Händen, tief sanken die dunkelbraunen Lederstiefel in den dichtbemoosten Boden.
Immer noch war der Himmel verhangen. Regen tropfte dick von Nadeln und Blättern. Nach zwanzig Minuten hatte Ebenezer Exmoor Castle erreicht.
Die Mauern des Schlosses ragten steil auf. Wilder Wein rankte an den Steinquadern empor. Gladys’ Zimmer lag zur Südseite, zum Wassergraben hinaus. Zwischen den Schloßmauern und dem teilweise mit Seerosen bedeckten Wasser lief noch ein schmaler Saum festen Erdreichs. Ein Mann konnte bequem darauf gehen.
Gloombstone verließ die Brücke zum Innenhof. Elegant sprang er die zwei Meter zum Erdsaum hinab und landete auf allen vieren. Er hatte sich an den neuen Körper gewöhnt. Er beherrschte seine Muskeln und Sehnen immer besser.
Die Gestalt drückte sich an der Wand entlang, bis sie unter Gladys’ Zimmer verharrte. Sie zog an den Weinranken und probierte aus, ob sie stark genug waren, das Gewicht zu tragen. Offensichtlich fiel die Probe zur Zufriedenheit Gloombstones aus, denn er begann, sich am Wein emporzuhangeln. Mit affenartiger Geschicklichkeit kletterte er die steile Mauer hoch.
Vorsichtig tastete er schließlich nach dem Fenster zu Gladys’ Zimmer. Es war fest verschlossen.
Gloombstone murmelte einen Zauberspruch…
***
Zamorra konnte nicht einschlafen. Die Unterhaltung mit Gordon Maxwell ging ihm nicht aus dem Kopf. Er glaubte dem Mann. Er gehörte nicht zu jenen Wichtigtuern, die sich um jeden Preis in die vorderste Reihe drängen wollen. Seine Schilderung der Vorfälle am Schloßgraben war zu plastisch gewesen, als daß er, der nicht die Fähigkeit hatte, sich großartig zu artikulieren, gelogen haben könnte.
Zamorra hatte noch in der Familienchronik nachgeblättert, aber nichts wesentlich Neues darin entdeckt. Die Lösung des Rätsels war jedenfalls nicht auf Exmoor Castle zu finden. Er hoffte, daß er nach dem Besuch der Schwarzen Burg klüger sein würde.
Zamorra hatte das Licht gelöscht und saß im Dunkeln. Er hockte auf seinem Bett und starrte in die Finsternis. Der Duft der verlöschten Kerze lag noch in der Luft. Ihr Rauch zog auf das Fenster zu. Die Läden schlossen nicht ganz dicht. Das Fenster hob sich schwach gegen die übrige Dunkelheit ab.
Der Professor wußte nicht, wie lange er so gesessen hatte, schweigend und seinen Gedanken nachhängend. Die Umwelt war um ihn versunken gewesen. Doch jetzt setzte er sich gerade auf. Irgend etwas hatte ihn aus seinen Gedanken aufgeschreckt. War es ein Geräusch?
Exmoor Castle war voller Geräusche. Dielen knarrten, in den Wänden schabte es. Wenn man sich genügend konzentrierte, konnte man eine Vielzahl dieser verschiedenen Geräusche ausmachen. Doch die waren es nicht, die Zamorra plötzlich hellwach hatten werden lassen.
Er stand auf und lauschte.
Nichts! Absolut nichts außer dem vertrauten Flüstern des Gemäuers und seines Inventars. Und trotzdem mußte es irgend etwas gegeben haben.
Zamorra war keine furchtsame Natur, und doch sträubten sich jetzt bei ihm die Nackenhaare. Er gehörte zu jenen Menschen, die man gern als übersensitiv bezeichnet, die einen sechsten Sinn für alles Außerplanmäßige haben, die es spüren, wenn ein Ereignis auf sie zurollt. Nicht zuletzt deshalb war Professor Zamorra für seine parapsychologischen Forschungen prädestiniert.
Und sein Sinn sagte ihm, daß etwas Schreckliches im Gange war.
Ein innerer Trieb zwang Zamorra aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Er konnte diesen Trieb nicht motivieren. Er war einfach da.
Zamorra öffnete das Fenster. Der Wind stob in die Vorhänge und ließ sie schweben wie Spinnweben in einer Gruft, durch die Zugluft fährt.
Der Professor beugte sich weit hinaus über die Brüstung. Mit den Händen hielt er sich am Fenstersims fest, um nicht hinauszustürzen.
Sein Blick glitt über den schwarzglänzenden Wasserspiegel des Schloßgrabens, doch Zamorra forschte vergebens. Er sah nichts, was seine Aufmerksamkeit gerechtfertigt hätte.
Wenn nicht in diesem Augenblick wieder jenes Geräusch gewesen wäre, das ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. Sein Kopf fuhr herum, auf die Ranken des wilden Weins zu.
Da – ein Schatten, schon ganz oben an einem Fenster. Die Blätter raschelten. Eine dunkle Gestalt hob sich schwach gegen die Mauer ab. Die Gestalt turnte genau auf Gladys’
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