0012 - Lebendig begraben
Nichts regte sich in diesem engen Gang, und wenn ich nach oben sah, verloren sich die Felsen in der Dunkelheit. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich in solch einem Felslabyrinth befunden. Dieses Massiv war so gewaltig, daß ich nicht einmal erkennen konnte, ob sich ein Felsdach über den riesigen Steinen wölbte, oder ob der Weg dort vielleicht ins Freie führte. Eventuell sogar zu den Türmen, deren Geheimnisse ich auch gern ergründet hätte, falls es solche überhaupt gab.
Wieder einmal knipste ich die kleine Lampe an, leuchtete fir ein paar Sekunden die Felswände im näheren Umkreis ab und blieb überrascht stehen.
Rechter Hand entdeckte ich einen nischenartigen Einschnitt, in dem sich eine Trittleiter befand. Sie war aus Holz und sah ziemlich stabil aus.
Meine Neugierde besiegte die Vorsicht. Ich begann damit, die Leiter hochzuklettern. Ein Handlauf war nicht vorhanden, und so mußte ich meine Hände auf die Stufen über mir legen, um mich abzustützen.
Das Holz bog sich zwar unter meinen Füßen, gab aber nicht nach. Yard um Yard kletterte ich höher. Einmal warf ich einen Blick zurück. Sehen konnte ich nichts. Nur die Finsternis ballte sich dort unten in dem schmalen Gang zusammen.
Und weiter kletterte ich. Schon bald brach mir der Schweiß aus, rann mir in die Augen, und ich schmeckte ihn salzig auf meinen Lippen.
Am Anfang hatte ich die Stufen gezählt, doch mittlerweile ließ ich es bleiben. Es waren einfach zu viele. Plötzlich hatte ich das Gefühl, die Dunkelheit würde sich lichten.
Ich legte den Kopf in den Nacken und glaubte den rotvioletten Himmel über mir schimmern zu sehen. Sollte ich das Ende der Felswand bald erreicht haben? Von dieser Hoffnung beflügelt, kletterte ich weiter, verschärfte dabei mein Tempo.
Die Dunkelheit wich tatsächlich. Über mir gloste dieser farbige Himmel.
Ich hatte es tatsächlich geschafft, war im Freien. Fast hätte ich vor Freude gejubelt. Doch das Gefühl verging sehr schnell.
Plötzlich tauchte ein Totenschädel über mir auf. Deutlich sah ich die weißen Augenhöhlen und den zu einem Grinsen verzogenen Mund.
Einer der Wächter des Schwarzen Tods war da. Noch vier Stufen!
Da packten die skelettierten Finger zu, umklammerten die Leiter und drückten sie mit Gewalt aus der Verankerung. Noch zwei Stufen… Die Leiter kippte.
Meine Hände versuchten, den oberen Rand der Felswand zu packen, um sich daran festzuhalten. Ich wollte nicht in die Tiefe fallen und mit zerschmetterten Gliedern liegenbleiben. Ich schaffte es nicht mehr. Meine Finger rutschten ab. Die Leiter kippte. Ich würde mit dem Rücken vor die gegenüberliegende Felswand krachen und in den Abgrund stürzen…
***
Im letzten Augenblick hatte ich die rettende Idee. Ich nutzte den Schwung der Leiter aus und drehte mich halb auf der Sprosse. Meine Arme schnellten vor, mit den Füßen stieß ich mich ab, und in der nächsten Sekunde umkrallten meine Finger den oberen Rand des Felsens.
Neben mir kippte die Leiter zur Seite und verschwand in der Tiefe. Ich hörte sie unten aufschlagen. Wie ein Klammeraffe hing ich an der Felswand. Der rauhe Stein riß mir die Finger auf. Feucht und warm spürte ich das Blut und den ziehenden Schmerz, der bis in Höhe der Ellenbogen drang.
Mühsam zog ich mich hoch. Es wurde nur ein halber Klimmzug daraus, und ich mußte mit den Beinen nachhelfen, um mich endlich über den Rand des Felsens schwingen zu können.
Erschöpft blieb ich einige Sekunden liegen. Normalerweise hätte ich mich rasch erholt, aber bei dieser Luft war das schlecht möglich. Ich stemmte mich auf die Knie, blieb in der Haltung hocken und sah über die Schlucht hinweg auf die andere Seite des Felsens.
Dort stand der Wächter und starrte mich an. Er trug ein knöchellanges Gewand aus schwarzem Stoff. In seinem ebenfalls dunklen Schädel fielen nur die hellen Augen auf. Drohend hob er die knochige Faust. Da ritt mich der Teufel.
Ich sprang auf, lief einige Schritte zurück, bis ich einen genügenden Anlauf hatte, spurtete wieder vor und setzte dann mit einem gewaltigen Sprung über die schmale Schlucht. Das Monster reagierte nicht schnell genug. Mit beiden Füßen zuerst rammte ich die Horrorgestalt. Der Knochenmann wurde zu Boden geschleudert, und ich fiel über ihn hinweg. Mit der Schulter prallte ich auf, fing mich aber sofort und wirbelte herum.
Das Skelett sprang bereits auf mich zu. Es hatte das Maul aufgerissen und stieß wütende Laute aus. Ich nahm wieder meine Füße zu Hilfe.
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