0013 - Die Knochengrube
Schwestern ausgefragt, wie ich in dem Telegramm geschrieben habe?« wollte Zamorra wissen.
»Ja. Der Mann gibt an, Saldana habe gelegentlich über eine gewisse Micaela gesprochen. Einmal hat er ihm einen Briefumschlag gegeben, weil der Hausmeister Briefmarken sammelt. Moment, ich habe das Kuvert zur Hand, die Adresse steht auf der Rückseite: Clichy, Rue Favager 433. Das ist alles.«
»Also wohnt Micaela Saldana in Paris.«
»Ich kenne die Rue Favager sogar«, sagte Nicole.
»Okay, Bill, wir besuchen die Dame umgehend. Über die andere – sie heißt Rosa – hat der Hausmeister keine Angaben machen können?«
»Keine«, entgegnete Fleming. »Vielleicht hat Micaela die nötigen Verbindungen. Sollte man wohl annehmen können. Sag mal, kannst du mir nicht mal die Hintergründe der scheußlichen Angelegenheit erläutern? Ich habe die Notiz über den vierfachen Mord in Florida zwar im Radio gehört, aber…«
»Bist du abkömmlich?« fragte Zamorra.
»Erst heute abend.«
»Dann buche für den übernächsten Jet der PanAm oder Air France, der von New York nach Paris fliegt. Wir können deine Hilfe gut gebrauchen. Ich berichte dir an Ort und Stelle über das, was wir bis jetzt herausbekommen haben.«
»Ein Mann, ein Wort«, gab Bill zurück. »Es wird nicht so schnell gehen, ich muß ja der Zeit hinterherfliegen. Treffe ich euch bei Micaela Saldana?«
»Falls nicht, hinterlassen wir eine Nachricht, wo wir zu finden sind«, sagte der Professor. Eine Sekunde später hängte er ein.
Nachdem sie die Hotelrechnung beglichen hatten, setzten sie sich in den Fiat Dino. Zamorra tankte am Stadtrand von Bordeaux. Sie hatten über 500 Kilometer Fahrt vor sich. Auf der Europastraße 3 kamen sie um diese Stunde nicht besonders zügig voran. Aber zwischen Poitiers und Tours waren wenigstens Teilstrecken der neuen Autobahn fertig. Hier drehte Zamorra richtig auf, brachte den italienischen Sportwagen auf über 180 Stundenkilometer Geschwindigkeit und riskierte ein dickes Strafmandat.
Kurz nach vierzehn Uhr rollten sie an Fontainebleau, kurze Zeit später am Internationalen Flughafen Orly vorüber. Am Quai du Pont du Jour fuhren sie über die Seinebrücke und genossen den herrlichen Ausblick auf den Bois de Bologne. Clichy rückte näher, und dank der Ortskenntnis von Nicole Duval erreichten sie die Rue Favager ohne Zeitverlust.
Zweistöckige Wohnhäuser säumten die wenig befahrene Straße.
Der Konstrukteur oder Architekt der zweifellos Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten Gebäude hatte den mißglückten Versuch unternommen, die Fassaden durch Erker, Arabesken und säulengestützte kleine Vorbauten ihrer Eintönigkeit zu entreißen und ihnen den Anblick nachempfundener Patrizierhäuser zu geben. »Bahnhofskunst« wurde dieser Stil ironisch genannt.
Nummer 43 unterschied sich von den übrigen Häusern durch eine glasverkleidete Veranda. Es machte einen tristen Eindruck. Zwei Namensschilder waren an der Pforte angebracht, aber nur ein Klingelknopf. Auf dem einen Schild stand »Mme. Genevieve La Menthe« zu lesen, auf dem darunter hängenden fanden sie Micaela Saldanas Namen.
»Ich fühle mich gar nicht wohl bei dem Gedanken, ihr die Todesnachricht überbringen zu müssen«, sagte Nicole leise.
»Überlassen Sie das mir«, versetzte Zamorra. Er schellte. Worauf eine in Blau gekleidete, etwas zu stark geschminkte Frau erschien.
Sie mußte etwa sechzig Jahre alt sein.
»Madame La Menthe?« erkundigte sich Zamorra.
»Sie wünschen?«
»Mein Name ist Professor Zamorra, das ist meine Sekretärin Nicole Duval. Wir hätten gern mit Madame Saldana gesprochen.«
Sie trat näher. »Sie haben wirklich Glück. Mademoiselle Micaela ist heute nachmittag ausnahmsweise zu Hause. Ich habe mich selbst gewundert, warum sie nicht ins Konsulat gefahren ist.«
»Sie arbeitet im Konsulat?«
»Im spanischen. Als Dolmetscherin. Treten Sie näher, ich zeige Ihnen den Weg. Mademoiselle Micaela bewohnt das ganze erste Stockwerk. Sie ist eine ruhige und ordentliche Mieterin.« Die Besitzerin des Hauses führte sie bis an einen separaten Nebeneingang. Dann zog sie sich diskret zurück.
Wieder ein Klingelzeichen – Schritte näherten sich der Tür.
»Ich kann mir den Grund für ihr Zuhausebleiben an fünf Fingern abzählen«, raunte Nicole. »Mein Gott, sie hat die Botschaft bereits erhalten.«
Die Tür wurde geöffnet. Die Frau, die sie aus weit aufgerissenen Augen musterte, hatte ein vielleicht nicht ganz von kleinen Fehlern freies, aber
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