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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
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Gestalt des Butlers Raffael Bois erschien.
    »Jemand möchte Sie sprechen, Mademoiselle«, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung, »ein Herr aus Soranges an der Rhône. Er kommt im Auftrag des Professors.«
    Nicole runzelte die Stirn.
    »Aber ich habe niemanden durch das Tor kommen sehen, Raffael. Und ich halte mich schon seit geraumer Zeit in diesem Zimmer auf.«
    Raffael Bois lächelte zurückhaltend.
    »Der Besucher ist aber vorhanden, Mademoiselle. Soll ich ihn hereinführen?«
    »Ja… ja, natürlich«, antwortete Nicole irritiert.
    Der Butler machte würdevoll auf dem Absatz kehrt, zog die Tür leise ins Schloß.
    Soranges, überlegte Nicole, so hieß das Dorf, das ihr Chef aufsuchen wollte. Aber wenn sie nicht alles täuschte, konnte er erst an diesem Morgen dort eintreffen. Ja, richtig! Der Leihwagen in Lyon war für diesen Sonntagmorgen bestellt worden! Wie sollte Professor Zamorra dann jemanden beauftragt haben, eine Nachricht nach Château Montagne zu bringen? Gab es in Soranges kein Telefon?
    Kein Postamt? Und überhaupt – niemand konnte die Entfernung in ein paar Stunden bewältigen…
    Wieder klopfte es.
    Raffael Bois führte den Mann herein und zog sich sofort zurück, wie es sich seiner Meinung nach für einen diskreten Butler gehörte.
    Nicole starrte den Fremden aus großen Augen an. Sie öffnete den Mund, wollte sprechen, doch etwas versiegelte ihre Stimmbänder.
    Der Mann stand regungslos da, musterte sie aus stumpfen, gefühllosen Augen, die in einer faltigen, verwitterten Gesichtslandschaft lagen. Er war klein und hager, trug dunkelgraues Drillichzeug und klobige Lederstiefel. Seine Hände, die aus zerschlissenen Ärmeln ragten, waren knochig und wirkten überdimensional. Das graue Haar des Mannes war unter einer abgewetzten Schirmmütze größtenteils verborgen.
    »Ich bin Jacques Fourcher«, sagte der Mann mit einer Stimme, die seltsam monoton und hohl klang, »ich komme aus Soranges, Mademoiselle. Ich habe den Auftrag, Sie abzuholen und nach Soranges zu begleiten.«
    Nicole fand endlich ihre Fassung wieder. Doch gleichzeitig spürte sie, daß sie die Kontrolle über sich verlor. Der alte Mann erschien ihr mitleiderregend, führte doch nur einen Auftrag aus. Sie brachte es nicht mehr fertig, ihn mit bohrenden Fragen zu belästigen und überhaupt an seiner Rechtschaffenheit zu zweifeln. Er hatte den weiten Weg nach Château Montagne auf sich genommen. Nein, er verdiente es nicht, daß man ihm Vorwürfe machte.
    »Professor Zamorra schickt Sie?« fragte Nicole freundlich. Mit mechanischen Bewegungen stand sie auf, ohne daß sie es eigentlich wollte.
    »Ja«, antwortete Fourcher unbeteiligt, »sind Sie bereit, Mademoiselle?«
    »Aber… aber Sie haben eine weite Reise hinter sich. Wollen Sie nicht erst ausruhen, essen und trinken?«
    »Nein. Wir brechen sofort auf, Mademoiselle. Es ist keine Zeit zu verlieren.« Die Worte des alten Mannes klangen weder wie ein Befehl noch wie eine Bitte. Er sagte es auf, wie einen Vers, den er auswendig gelernt hatte.
    »Ja, selbstverständlich«, antwortete Nicole bereitwillig, »fahren wir, mit dem Wagen?«
    »Ja, der Professor bittet darum.«
    »Gut, dann folgen Sie mir bitte.«
    Nicole eilte voraus. Ihr fiel nicht auf, daß von dem alten Fourcher, der ihr folgte, keine Schritte zu hören waren. Im Vorbeigehen rief sie Raffael Bois in der Halle zu, daß sie gemeinsam mit dem Besucher nach Soranges aufbrechen werde. Der Butler verneigte sich nur, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Nicoles Worte hatten fröhlich geklungen; wie die eines jungen Mädchens, das zu einem sonntäglichen Ausflug starten wollte.
    Eilig holte sie den großen Citroën des Professors aus der Garage.
    Der alte Mann aus Soranges nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Seine Miene war von stoischer Unbewegtheit. Die knochigen Hände hielt er über den Knien gefaltet.
    Nicole ließ die Limousine im Schrittempo vom Innenhof des Schlosses rollen. Dann erhöhte sie das Tempo, als sie die gewundene Zufahrt erreichte.
    Sie zweifelte nicht mehr daran, daß ihr Chef sie hatte rufen lassen.
    Sie war vor allem erfreut, ihm diesen Gefallen tun zu können. Ja, sicherlich hatte er es sich anders überlegt und wollte die Rückfahrt mit dem eigenen Wagen antreten – nicht mit der Bahn, wie ursprünglich vorgesehen.
    Nicole Duval konnte nicht wissen, daß ihre Gedanken von einer fremden, geheimnisvollen Macht gelenkt wurden. Noch viel weniger konnte sie ahnen, daß es den alten Mann an ihrer Seite

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